Zeitschrift Kommunalwahl in Baden-Württemberg 2004 P & U aktuell 13
Kommunalwahl 2004
April 2004 |
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Parteien und »Rathausparteien«. In der Regel treten bei der Gemeinderatswahl zwei oder mehrere Listen von Bewerbern gegeneinander an. Dabei gibt es auf kommunaler Ebene eine Besonderheit. Neben den bekannten und etablierten Parteien, die landes- und bundesweit antreten, stellen auch rein örtliche Wählervereinigungen Listen auf. Diese Freien Wählervereinigungen nennt man wegen ihres lokalen Bezugs auch oft »Rathausparteien«. Vereinigungen, die bisher weder im Gemeinderat oder Landtag vertreten waren, müssen eine Reihe von Unterschriften beibringen, bevor sie einen Wahlvorschlag einreichen können. Passives Wahlrecht. Auf der Liste können maximal so viele Personen aufgeführt sein, wie Mitglieder in den Gemeinderat oder Kreistag zu wählen sind. Prinzipiell ist jeder wählbar (passives Wahlrecht), der selbst wählen darf (aktives Wahlrecht) (á Wie wird gewählt?) Bestimmte Personengruppen können allerdings wegen Befangenheit ein Mandat nicht antreten. So sieht man Angestellte und Beamte der Gemeinde (im Falle des Kreistages des Landkreises) oder direkte Verwandte des Bürgermeisters als nicht unabhängig genug für einen Sitz im Gemeinderat an. Ein leichter Job? Als Gemeinde- oder Kreisrat hat man ein Ehrenamt. Ist man einmal gewählt, so ist man prinzipiell dazu verpflichtet, dieses Amt auch auszuüben. Die Gewählten sind in der Ausübung ihres Mandates frei. Das heißt, niemand kann ihnen Aufträge geben oder sie zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten verpflichten. Wer in einem Gemeinderat sitzt und seine Arbeit ernst nimmt, hat viel Arbeit. Der Gemeinderat tagt mindestens ein Mal pro Monat. Dazu kommen Treffen von Ausschüssen und Verbänden sowie die Vor- und Nachbereitung der Sitzungen. Die finanzielle Entschädigung, die sich an der Größe der Gemeinde bemisst, ist dagegen bescheiden. Zählt man alles zusammen – Kreisräte, Ortschaftsräte und die Gemeinderäte –, so warten im Juni 2004 rund 35.000 Posten darauf, besetzt zu werden. Die Zahl der Kandidaten wird weit höher sein. Allein bei den letzten Gemeinderatswahlen im Jahr 1999 hatten sich genau 64.196 Personen um einen Sitz beworben. Es ist mitunter nicht ganz einfach, genügend geeignete Bewerberinnen und Bewerber für die Wahl zu finden. Der »ideale Kandidat«. Wie sieht für eine Wählervereinigung der ideale Kandidat oder die ideale Kandidatin aus? Viele wünschen, dass die Parlamente – und so auch die »Kommunalparlamente« – ein getreues Abbild der Bevölkerung sind. Das heißt, dass die verschiedenen Berufsgruppen, Männer und Frauen, Jüngere und Ältere in ähnlicher Verteilung wie in der Bürgerschaft vertreten sind. Betrachtet man aber die rund 20.000 Gemeinderäte, zeigt sich, dass manche Personengruppen besonders stark vertreten sind. So liegt der Anteil der Selbstständigen unter den Gemeinderäten deutlich über ihrem Anteil an der Bevölkerung. Arbeiter hingegen findet man seltener in den Räten. Welche Berufe besonders häufig vorkommen und bei den Wählern besonders beliebt sind, hängt natürlich von der örtlichen Sozialstruktur ab. In Universitätsstädten findet man häufiger als anderswo akademische Berufe. In den in Baden-Württemberg dominierenden kleinen und mittleren Gemeinden haben dagegen die Vertreter des selbstständigen Mittelstandes, also Handwerker, Einzelhändler, Gastwirte usw., die »Nase vorn«. Sehr wichtig ist das persönliche Ansehen, das häufig mit dem Beruf verbunden ist. Deshalb haben die freien Berufe – Rechtsanwälte, Steuerberater, Architekten und Ärzte – bei der Bewerbung um einen Gemeinderatssitz durchweg einen Vorteil. Wichtig ist vor allem, dass möglichst viele Wähler den Kandidaten persönlich kennen. Auch das erklärt die besonders starke Vertretung von Personen mit bestimmten Berufen, die durch ihre Tätigkeit – z.B. als Arzt oder Ladenbesitzer – schon vielen in der Gemeinde bekannt sind. Einen hohen Bekanntheitsgrad kann man aber nicht nur durch seinen Beruf erreichen. Auch das Engagement in Politik, Kirche, Vereinen, Feuerwehr usw. wirkt sich positiv aus auf die Chancen, aufgestellt und gewählt zu werden. Schließlich entspricht die Altersstruktur der »Kommunalparlamente« nicht der der Bevölkerung. Gemeinderäte sind in der Regel zwischen 40 und 60 Jahre alt; die Gruppe der 50- bis 60-Jährigen ist dabei am stärksten. Besonders schwach sind die über 70-Jährigen und die unter 30-Jährigen vertreten. Der typische Gemeinderat ist ein Mitfünfziger, vielen in der Gemeinde bekannt, hat einen angesehenen Beruf – und ist in der Regel ein Mann. Sitzung des Gemeinderats im Tübinger Rathaus. Im Vordergrund (2. v. l.) Brigitte Russ-Scherer, eine der wenigen (Ober-)Bürgermeisterinnen in Baden-Württemberg. Foto: Manfred Grohe Wo bleiben die Frauen? Frauen machen über die Hälfte der Bevölkerung aus. Doch in der Politik sind sie nach wie vor schwach vertreten. Nach den letzten Kommunalwahlen lag der Frauenanteil in den Gemeinderäten bei knapp 19 Prozent, in den Kreistagen nur bei 14 Prozent. Allein in 72 Gemeinden sind die Räte ganz ohne Frauen. In den politischen Führungsämtern sind die Frauen noch seltener. Derzeit findet man gerade mal 24 (Ober-)Bürgermeisterinnen im Land. Eine Landrätin sucht man bislang vergebens. Woher kommt diese schwache Vertretung der Frauen? Haben die Frauen keine Lust auf politische Auseinandersetzungen in Gemeinderat und Kreistag? Haben sie weniger Zeit als die Männer, wenn sie Familie und Beruf miteinander vereinbaren müssen? Haben Sie zu wenige Kontakte zu wichtigen Leuten, zu den Parteien? Oder werden sie schlicht und einfach von Männern diskriminiert, die die politischen Entscheidungen lieber ohne Frauen treffen? Es gibt verschiedene Vorschläge, wie man die Vertretung von Frauen in politischen Gremien erhöhen könnte. In Frankreich schreibt seit zweieinhalb Jahren ein »Gesetz über die Parität« vor, dass bei nahezu allen Wahlen die Wahlvorschläge je zur Hälfte aus Männern und Frauen bestehen müssen. Gerade im Kommunalbereich waren die Auswirkungen dieses Gesetzes beträchtlich. Nach den Wahlen von 2001 stieg der Anteil der Frauen in den Gemeinden, für die das Parité-Gesetz galt, von knapp 22 auf ungefähr 48 Prozent. Prinzipiell sind sich alle Parteien darüber einig, dass der Frauenanteil in der Politik erhöht werden sollte. Uneinig ist man sich aber darüber, ob dies über die Festlegung von Quoten oder auf andere Weise geschehen soll. Der Versuch der Landtagsfraktionen von SPD und Grünen, einen 40-Prozent-Anteil von Frauen auf den Wahlvorschlägen im Kommunalwahlrecht vorzuschreiben, ist im Landtag gescheitert. Die Mehrheit sprach sich gegen rechtliche Vorschriften aus. Es gibt verschiedene Initiativen, die politische Beteiligung von Frauen zu fördern. So unterstützt z.B. das überparteiliche Projekt der Landeszentrale für politische Bildung »Tandem in der Politik« den weiblichen politischen Nachwuchs. Interessierte Frauen können einer erfahrenen Politikerin eine Zeit lang »über die Schulter schauen« und so Einblick in die politische Arbeit gewinnen. Gleichzeitig gibt es Kurse, in denen man sich auf seine eigene politische Arbeit vorbereiten kann. Letztendlich liegt es in hohem Maße an den Parteien und den Wählervereinigungen, ob und inwieweit sie vermehrt Frauen aufstellen. Ebenso kommt es auf die Frauen an, sich selbstbewusst auch gegen Widerstände ihren Platz in der Politik zu erobern. Und schließlich bestimmen Wählerinnen und Wähler durch ihre Stimmabgabe auch über den zukünftigen Frauenanteil in den »Kommunalparlamenten«.
Gewählte Bewerberinnen bei den Gemeinderatswahlen in Quelle: Tandem in der Politik – TiP. Handreichung Mentoring für Frauen in der Kommunalpolitik, hrsg. v. d. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg mit Unterstützung des Sozialministeriums Baden-Württemberg. Stuttgart 2001, S. 11.
Der »Reißverschluss« ähnelt den Regelungen in Frankreich. Überlegen Sie: Auf welche Widerstände könnten die Vorschläge der CDU-Frauen stoßen? Welche Argumente können Sie dagegen anführen?
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