Zeitschrift

Lokale Agenda 21

Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung

Baustein E
Bewusstsein und Verhalten


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Inhaltsverzeichnis

 

Viele Entscheidungen über ein umweltverträgliches oder ein umwelt-unverträgliches Verhalten fallen in Prozessen, die sich den traditionellen Ansätzen (hard policies) entziehen oder diesen weit vorgelagert sind. Umweltpolitik, die auf die Leitidee einer nachhaltigen Entwicklung setzt, braucht die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung und die Bereitschaft zur Verhaltensänderung - über Wissen und Bewusstsein hinaus. Diese Forderung wird theoretisch immer wieder formuliert; sie ist aber insofern heikel und wird oft auch misstrauisch diskutiert, da sie (unbequeme) persönliche Konsequenzen und damit eine Abkehr von liebgewonnenen Gewohnheiten nach sich ziehen könnte.

Deshalb gilt es, verstärkt auch den Beitrag des individuellen Verhaltens bei der Lösung von Umweltproblemen aufzuarbeiten und immer wieder in der Öffentlichkeit darzustellen. Hier haben in der Analyse u.a. auch sozialpsychologische Fragestellungen (nach Einstellungen, Gewohnheiten, Lebensstilen) und in der Umsetzung gesellschaftliche Kommunikation (Information, Öffentlichkeitsarbeit, Bewusstseinsbildung) ihren Platz (soft policies). Das Ziel eines dauerhaft umweltverträglichen Verhaltens ist eine herausragende pädagogische Aufgabe - in allen gesellschaftlichen Bereichen, besonders natürlich bei jüngeren Menschen, bei denen das Verhalten noch nicht so verfestigt ist wie bei älteren.

Wenn es nicht gelingt, nachhaltige (also dauerhaft umweltverträgliche) Lebensstile zu fördern und in der Gesellschaft zu verankern, besteht die Gefahr, dass anderweitig erreichte Umweltentlastungen (durch traditionelle Maßnahmen) durch Bevölkerungszuwachs oder Anspruchsinflation wieder zunichte gemacht werden. So könnte z.B. die umweltrelevante Wirkung des Dreiliterautos ohne vorherige oder gleichzeitige Investition in die Förderung von entsprechenden "Dreiliterfahrerinnen und -fahrern" und von "Dreiliter-Lebensstilen" verpuffen und damit geradezu kontraproduktive Ergebnisse auslösen (nach dem Motto: "Man kann ja sowieso nichts machen").

Die Überwindung von Gewohnheiten und Verhaltensweisen, die einer nachhaltigen Entwicklung im Wege stehen, ist aller Erfahrung nach nicht leicht. In sehr vielen konkreten Fällen wissen wir zwar, was wir im Sinne der Umwelt tun sollten, wir tun es aber trotzdem nicht. Und das, obwohl uns neuere Untersuchungen ein ausgesprochen ausgeprägtes Umweltbewusstsein in Deutschland bescheinigen.


Verhaltensänderungen

Änderungen im Denken und Handeln können vom Staat nicht erzwungen werden. Eine langfristig angelegte Politik kann diesen Wandel jedoch unterstützen. Auch Schul- und Berufsausbildung spielen dabei eine große Rolle... Ein solcher Umschwung der Einstellungs- und Verhaltensweisen ist vergleichbar mit den grundlegenden Prozessen des Wandels von Mentalitäten zu Beginn der Moderne sowie während der industriellen Revolution.

Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" des Deutschen Bundestages (Hrsg.): Die Industriegesellschaft gestalten, Bonn 1994, S. 86


Umwelterziehung

Allgemein und auch in der Umweltpädagogik hat sich bis heute die Vorstellung gehalten, dass aus Wissen und Bewusstsein eine entsprechende Handlungsbereitschaft entsteht, die dann auch zum gewünschten Verhalten führt. Diese "automatische Abfolge" gibt es allerdings offensichtlich nicht. Zwischen Einstellungen und Verhaltensweisen besteht meist nur ein schwacher Zusammenhang. In der Regel erklären Einstellungen weniger als 20 Prozent der gezeigten Verhaltensweisen. Zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten muss folglich klar unterschieden werden (vgl. Anja Knaus/ Ortwin Renn: Den Gipfel vor Augen, Unterwegs in eine nachhaltige Zukunft, Marburg 1998, S. 115).

Gerade von Schülerinnen und Schülern wird immer noch erwartet, dass sie ihr individuelles Verhalten dem (kognitiv) Gelernten anpassen können und das auch tun. "Es wird dabei ignoriert, dass sie es in vielen Bereichen vielleicht gar nicht können, weil andere, für ihre Persönlichkeit ebenso entscheidende Motive, dem entgegenstehen... Wird die Vermittlung von Wissen dann noch begleitet von moralischen Appellen, werden Konflikte erzeugt, die Schülerinnen und Schüler überfordern, und denen sie sich zu entziehen wissen - häufig gerade durch die Abkehr von ökologischen Zielen (vgl. Gerhard de Haan u. Dorothee Harenberg: Nachhaltigkeit als Bildungs- und Erziehungsaufgabe, in: Der Bürger im Staat 1998/2, S. 101). Möglich, dass in der Erzeugung solcher Blockaden eine Ursache für die mangelnde Wirksamkeit der bisherigen umweltpädagogischen Bemühungen der Vergangenheit liegt.

Dieser Baustein soll die bisherigen Bemühungen nicht untergraben und als "realitätsferne Lyrik" abtun. In der Reihe POLITIK & UNTERRICHT gab es bereits einige Ausgaben mit angrenzenden Fragestellungen, die für diesen Baustein als Ergänzung herangezogen werden können: "Auto-Mobilität", "Trends und Moden", "Moderne Zeiten", "Internationale Klimapolitik".* Hier geht es darum, gerade auch mit Schülerinnen und Schülern an einigen Beispielen aufzuarbeiten, welche Barrieren uns alle daran hindern, uns so zu verhalten, wie wir uns eigentlich verhalten sollten. Nur wenn wir verstehen, warum Lernprozesse mit Blick auf ein entsprechendes Verhalten häufig scheitern, haben wir die Chance, erkannte Hindernisse abzubauen.

Der Baustein soll Mut machen, in dem Bemühen um eine lebenswerte Zukunft nicht resigniert und enttäuscht stehen zu bleiben - nur weil wir uns immer wieder zu viel oder zu Schwieriges vornehmen. Er ist ein Plädoyer für kleine, überschaubare Schritte einer nachhaltigen Entwicklung und soll einen ersten Zugang zu einem attraktiven sozialpsychologischen Thema ermöglichen. Vor allem soll dabei vor der Illusion gewarnt werden, individuelle Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung könnten sich automatisch einstellen, wenn wir nur genügend informiert und aufgeklärt sind.

Es ist wichtig, auch nach den persönlichen Einstellungen und Verhaltensweisen und dann nach der individuellen Bereitschaft zu vernünftigerem Verhalten zu fragen. Wenn dabei persönliche Barrieren auffallen und erörtert werden, kann eine ehrlicheres und damit letztlich aussichtsreiches Verständnis für den notwendigen "Weg zur Nachhaltigkeit" erreicht werden.

* Alle genannten Titel sind bei der LpB Baden-Württemberg nicht mehr verfügbar.


Eine repräsentative Umfrage

Im Auftrag des Umweltbundesamtes wurde 1996 bei 2307 Bürgerinnen und Bürgern deren Umweltwissen, -bewusstsein sowie ihre Bereitschaft zu umweltfreundlichem Verhalten erhoben (Umweltbewusstsein in Deutschland. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage).

  1. Die Umweltverhältnisse in Deutschland werden von 52 % der Befragten als gut bis sehr gut beurteilt. Fortschritte werden insbesondere bei der Gewässerreinheit, der Energieeinsparung und bei Verpackungen wahrgenommen, während beim Klimaschutz 33 % eine Verschlimmerung der Situation sehen. Die gesellschaftspolitische Bedeutung des Umweltschutzes hat seit Beginn der 90er Jahre abgenommen und liegt heute an dritter Stelle hinter Arbeitslosigkeit und Verbrechensbekämpfung. Tendenziell gewichten Frauen, jüngere Befragte und Personen mit höherer Schulbildung den Umweltschutz stärker.
  2. Im persönlichen Umfeld fühlen sich die Befragten am stärksten durch Autoabgase. Straßenverkehrslärm und schlechte Luft belästigt. Unzufrieden mit der Umweltsituation in ihrer Wohngegend äußern sich jedoch lediglich 6 %.
  3. Fragen nach dem ökologischen Bewusstsein ergaben, dass 57 % der Meinung sind, die Grenzen des Wachstums seien überschritten bzw. bald erreicht. Umweltschutzmaßnahmen selbst auf Kosten von Arbeitsplätzen werden von 27 % befürwortet und von 35 % abgelehnt. 38 % der Bevölkerung glaubt nicht, dass Wissenschaft und Technik allein die anstehenden Umweltprobleme lösen können. 55 % sind der Meinung, dass wir zu Gunsten der Umwelt unseren Lebensstandard einschränken sollten; allerdings sind nur 38 % bereit, sich auch dann umweltbewusst zu verhalten, wenn das erhebliche höhere Kosten und Mühen verursacht.
  4. 63 % halten Verhaltensänderungen beim Einkaufen für dringend notwendig. Nur 37 % sind jedoch bereit, für umweltverträgliche Produkte auch höhere Preise zu zahlen.
  5. Der Themenbereich Müll ist stark emotional besetzt: 49 % befürchten, in dem von uns produzierten Müll zu ersticken. Allerdings sind nur 22 % bereit, für eine umweltschonendere Müllbeseitigung auch höhere Gebühren zu entrichten.
  6. Die Einsicht in die Notwendigkeit des Energiesparens ist relativ stark ausgeprägt. 71 % sind der Meinung, dass jeder Einzelne weniger warmes Wasser verbrauchen sollte. 74 % sind bereit, bei neuen Haushaltsgeräten auf einen niedrigen Verbrauch zu achten. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die individuelle Zurechnung der Kosten zu einem schonenderen Umgang mit Ressourcen führt: 86 % der Befragten, deren Heizkosten nach dem individuellen Verbrauch abgerechnet werden, senken die Raumtemperatur nachts ab, bei der pauschalen Abrechnung tun dies nur 75 %.
  7. Während 48 % der Befragten der Auffassung sind, das Auto gehöre zu den wichtigsten Umweltsündern, sind 51 % der Meinung, Autofahrer würden zu einseitig kritisiert. 57 % fahren täglich mit dem Auto zur Arbeit oder zur Ausbildung. Damit hat sich der Anteil derjenigen, die allein mit dem Auto zur Arbeit fahren, von 1993 bis 1996 um 10 % erhöht. 54 % würden das Auto auch bei einer Verdoppelung der Benzinpreise weiter nutzen. Nur 26 % der Befragten befürworten eine Verteuerung des Autofahrens. Generell ist festzustellen, dass sowohl Forderungen nach einem Tempolimit, nach Sperrung der Innenstädte und nach einer Verteuerung des Autofahrens zu Beginn der 90er Jahre stärkeren Rückhalt in der Bevölkerung fanden. Trotz eines vorhandenen Umwelt- und Problembewusstseins geht also der Trend eher in Richtung Auto.
  8. In der Bevölkerung ist ein erhebliches Faktenwissen im Bereich des Umweltschutzes vorhanden, wobei sich jüngere Befragte, Personen mit höherer Schulbildung und Männer besonders hervortun. Was das persönliche Engagement für den Natur- und Umweltschutz anbelangt, so sinkt dieses mit zunehmendem Aufwand: 29 % haben sich in den vergangenen fünf Jahren an einer Unterschriftensammlung beteiligt, jedoch nur 9 % an einer konkreten Aktion. Große Teile der Bevölkerung sind um den Zustand der natürlichen Umwelt besorgt und leiten daraus entsprechende Anforderungen an die Politik ab. Diese Einstellungen werden jedoch bei der Gestaltung der eigenen Lebensweise kaum berücksichtigt, materielle Einschränkungen zu Gunsten der Umwelt werden von der Mehrheit der Bevölkerung eindeutig abgelehnt.
  9. Personen mit höherer Schulbildung unterscheiden sich von den anderen Personengruppen lediglich darin, dass sie im investiven Bereich öfter umweltfreundlich entscheiden, was jedoch auch damit zusammenhängen dürfte, dass sie in der Regel über höhere Einkommen verfügen.
  10. Die größte Diskrepanz zwischen Bewusstsein und eigenem Verhalten offenbart sich bei den jüngeren Befragten: diese überdurchschnittlich informierte und umweltbewusste Bevölkerungsgruppe verhält sich in ihrem persönlichen Lebensumfeld generell am wenigsten umweltfreundlich.

1. Typisches Verhalten? (E 1 bis E 6)

Den Schülerinnen und Schülern ist aus eigener Anschauung bekannt, dass sie selbst und viele andere Menschen auf verschiedenen Gebieten Tag für Tag versuchen, ihren Lebensstil mit den berechtigten Forderungen des Umweltschutzes in Einklang zu bringen.

Die Karikaturen sollen zur Motivation für die Fragestellung weit verbreitete (nicht unbedingt wünschenswerte und schon gar nicht nachhaltige) Verhaltensweisen unserer Gesellschaft aufs Korn nehmen und ein in unserer Zeit ebenfalls häufig anzutreffendes Verhaltenssyndrom zeichnen: eine Mischung aus Besorgnis (E 1), Unsicherheit über die richtigen Verhaltensweisen (E 2), wechselseitiger Zuschiebung des Schwarzen Peters (E 3), Ohnmachtsgefühlen (E 4), daraus resultierenden Wurstigkeiten (E 5) und Verdrängungen (E 6).

Die Frage nach konkreten Beispielen aus dem Erfahrungshorizont der Schülerinnen und Schüler kann deutlich machen, dass die karikierten Verhaltensweisen keine Einzelfälle sind, sondern im Alltag vieler Menschen (auch bei sich selbst) häufig anzutreffen sind. Die Anschlussfrage nach einem wünschenswerten Verhalten kann zum zweiten Lernschritt überleiten.

Umfrageergebnisse 1996

  - - -/+ ++
1 Es beunruhigt mich, wenn ich daran denke, unter welchen Umweltverhältnissen unsere Kinder und Enkelkinder wahrscheinlich leben müssen.    8% 19% 73%
2 Es ist noch immer so, dass die Politiker viel zu wenig für den Umweltschutz tun.    9% 26% 65%
3 Derzeit ist es immer noch so, dass sich der größte Teil der Bevölkerung wenig umweltbewusst verhält.    13% 28% 59%
4 Nach meiner Einschätzung wird das Umweltproblem in seiner Bedeutung von vielen Umweltschützern stark übertrieben.    55% 26% 19%
5 Egal, was die anderen tun, ich selbst versuche, mich soweit wie möglich umweltgerecht zu verhalten.    4% 23% 73%
6 Zugunsten der Umwelt sollten wir alle bereit sein, unseren derzeitigen Lebensstandard einzuschränken.    11% 34% 55%
7 Für jemand wie mich ist es schwierig, viel für die Umwelt zu tun.    40% 30% 30%
8 Ich verhalte mich auch dann umweltbewusst, wenn es zusätzlich erheblich höhere Kosten und Mühen verursacht.    18% 44% 38%

- - stimme überhaupt bzw. eher nicht zu;

-/+ teils/teils

+ + stimme weitgehend bzw. voll und ganz zu.

Quelle: Bundesumweltministerium (1996): Umweltbewusstsein in Deutschland. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage 1996. Berlin, S. 19.

 

2. Was kann ich schon tun? (E 7 bis E 9)

Das Umweltbewusstsein in der Bundesrepublik Deutschland ist hoch, wenngleich auch momentan Fragen der persönlichen Sicherheit (Arbeitsplatz, Schutz vor Verbrechen) auf einer Interessenskala noch davor rangieren. Eine kommentierende Zusammenfassung der Ergebnisse einer Umfrage des Umweltbundesamtes (1996) zu Umweltwissen, -bewusstsein und zur Bereitschaft zu einem umweltfreundlichen Verhalten dient als inhaltliche Grundlage für diesen Baustein.

Partnerinterviews unter Zuhilfenahme von E 7 schaffen die Möglichkeit, die Einstellungen der Schülerinnen und Schüler zu erfragen, zu diskutieren und dabei mit den Umfrageergebnissen der Gesamtbevölkerung aus dem Jahr 1996 zu vergleichen. Dabei ist u.a. herauszuarbeiten, dass zwischen den eigenen Ängsten, der Kritik an anderen (z.B. Politikern), theoretischen Absichtserklärungen und dem persönlichem Einsatz von Kosten und Mühen offensichtlich ein erheblicher Unterschied besteht.

Die verschiedenen Möglichkeiten und Handlungsfelder für ein umweltbewusstes Verhalten dürften den Schülerinnen und Schülern bekannt sein. Das in E 8 vorgestellte Handlungsmosaik dient als Grundlage für den weiteren Unterrichtsgang und sollte zunächst mit konkreten Alltagsbeispielen gefüllt werden.

Dass sich dennoch immer wieder viele Beispiele für eine Diskrepanz zwischen vorhandenem Bewusstsein und tatsächlichem Verhalten finden lassen, zeigt E 9, wobei wichtig ist, bei der Diskussion nicht besserwisserisch auf andere zu zeigen, sondern die geschilderten Verhaltensweisen jeweils immer auch auf das eigene Umweltverhalten zurück zu koppeln. Eine weitere Aufgabe könnte darin bestehen, auf Grund der eigenen Erfahrung weitere Alltagsbeispiele für die Kluft zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten aufzulisten und erste Vermutungen dafür anzustellen.

3. Ausreden und Schwierigkeiten (E 10 bis E 14)

Wer im Sinne einer Kausaltherapie an die Ursachen heutiger Umwelt- und Verkehrsprobleme herangehen möchte, muss verstärkt auch beim individuellen Verhalten ansetzen. Dabei muss die Einsicht wachsen, dass jeder Einzelne - und nicht nur die Politik, die Verwaltung, die Wirtschaft oder die Technik - eine Menge dafür tun kann, dass zwischen Umwelt und Lebensqualität kein unüberbrückbarer Gegensatz entsteht. Das wiederum führt zu den eigentlichen Fragestellungen: Wie kann man in einer freiheitlichen Demokratie und Marktwirtschaft die Bürgerinnen und Bürger zu einem rationelleren Umgang mit endlichen Ressourcen befähigen? Wie kann man es schaffen, dass künftig ein Mehr an Lebensqualität nicht zwangsläufig auch ein Mehr an fortschreitender Umweltbelastung bedeutet? Wie können ökologische Belastungen ("Ökologische Rucksäcke" vgl. Friedrich Schmidt-Bleek, Wie viel Umwelt braucht der Mensch?, Basel/Boston/Berlin 1994), die bei Herstellung, Gebrauch und Entsorgung von Waren, Verbrauchsgütern und Dienstleistungen entstehen, deutlich reduziert werden?

Da es in diesem Baustein ausschließlich um die individuellen Beiträge zu einem umweltbewussten Verhalten gehen soll, werden hier strukturelle Barrieren (z. B. Angebotsdefizite, "falsche" Preissignale, Defizite bei der Infrastruktur) nicht thematisiert.

In der sozialwissenschaftlichen Literatur findet man eine große Bandbreite an Erklärungen und Interpretationen zur Diskrepanz zwischen Bewusstsein und Verhalten. Hier sollen einige Ansätze (aus einem Arbeitspapier der UNESCO-Verbindungsstelle für Umwelterziehung, Umweltbundesamt 1998) vorgestellt und jeweils an einem geeigneten Beispiel mit den Schülerinnen und Schülern diskutiert werden. Generelle Aufgabe wäre es, im Unterrichtsgespräch weitere Beispiele und andere Materialien für den jeweiligen Themenaspekt zu finden. Entscheidend wird es sein, nicht nur verschiedene Hindernisse herauszuarbeiten, sondern jeweils auch Vorschläge zu machen, wie der Einzelne und die Gesellschaft auf diese Hindernisse reagieren können.

Für alle hier aufgelisteten "Barrieren" lassen sich schnell treffende Beispiele finden. Es kann gezeigt werden, dass wir zwar über viele Umweltfragen im Prinzip informiert sind, aber deren eigentliche Gestalt und Auswirkung direkt kaum wahrnehmen können. Umweltprobleme werden zwar als drohend oder gar katastrophal wahrgenommen, aber nicht hier, im unmittelbaren Lebensumfeld, sondern weit weg und eher in der Zukunft als in der Gegenwart. Das kann zu einem Trugschluss führen: ich muss hier und jetzt (vor meiner Haustür) nichts tun.

Zeichnung: Wössner

Barrieren für ein umweltbewusstes Verhalten

1 Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung: Umweltprobleme sind nicht unmittelbar erfahrbar

2 Schwierigkeiten der Information: Kausale Vernetzungen sind schwer zu denken

3 Barrieren auf emotionaler Ebene: Ängste, Verdrängungen, Ausreden

4 Schwierigkeiten der Vermittlung: Eingängige Informationen und Bilder fehlen

5 Anthropologische Barrieren: Die ökologische Zivilisierung widerspricht elementaren Verhaltensmustern

6 Soziokulturelle Barrieren: Umweltverhalten ist nur schwer mit geltenden Werten vereinbar

7 Schwierigkeiten durch Abwälzen der Lasten: das ökologisch-soziale Dilemma (Allmende-Klemme)

8 Schwierigkeiten der Zeit-Perspektive: Konsequenzen eines bewussten Verhaltens kann der Einzelne oft nicht erleben

Umweltthemen werden in den Medien häufig aufgegriffen. Das kann dazu führen, dass ein Gefühl einer eher verwirrenden Überfütterung entsteht. Gerade ökologische Themen zeichnen sich naturgemäß durch eine hohe Komplexität aus und sind dem Laien oft schwer verständlich. Das wiederum kann zu Desinteresse und Gleichgültigkeit führen. Viele Menschen empfinden auch Gefühle der individuellen Ohnmacht und Einflusslosigkeit gegenüber Umweltproblemen. Eine mögliche Reaktion auf das gleichzeitige Auftreten von Bedrohungs- und Ohnmachtsgefühlen kann in der Ausbildung diffuser Ängste bestehen. In der Regel führt dies zur Verdrängung des Problems oder zu anderen Abwehrmechanismen, wie z. B. Ausreden und Rechtfertigungen. Die Aussagen von E 11 (Beispiel für Schwierigkeiten auf emotionaler Ebene) sollten von den Schülerinnen und Schülern interpretiert und mit Blick auf die deutlich werdende Einstellung kommentiert werden:

1 = Verweis auf ansonsten praktizierten Umweltschutz,

2 = Die fragende Person wird zum eigenen Schutz ihrerseits angegriffen,

3 = Verantwortung wird auf andere abgeschoben,

4 = Machtlosigkeit des Einzelnen; es lohnt sich nur, wenn alle mitmachen,

5 = Verweis auf einen angeblichen Sachzwang,

6 = Sparen ist etwas für die Armen,

7 = Die eigene Bequemlichkeit wird offensiv als vorrangig angesehen.

Verhaltensforscher sind der Ansicht, dass auch in Bezug auf das Umweltverhalten elementare Verhaltensmuster wirksam werden, die sich im Prozess der Evolution herausgebildet haben. In der Menschheitsgeschichte haben sich eine "Kultur der Dominanz" und ein "Leitbild des Stärkeren" entwickelt, die ein persönliches Verhalten anregen, das geprägt ist von der Sehnsucht nach "Höher, schneller, weiter". Das wiederum kann ein Grund dafür sein, sich trotz besserer Einsicht nicht umweltbewusst zu verhalten. Mit E 12 (Beispiel für anthropologische Schwierigkeiten) kann dieser Zusammenhang verdeutlicht werden. Leitfrage: Mit welchen Sehnsüchten des Motorradfahrers wird geworben? Weitere anthropologisch bedingte Verhaltensweisen in anderen Lebensbereichen (Kleidung, Sport, Wirtschaft) sollten gefunden werden (z. B. andere Menschen beeindrucken, um selbst zu "überleben"; Vorräte ansammeln, um selbst nicht zu "verhungern"; schnell sein, um "fliehen" zu können, etc.)

Eine große Rolle in der ökologischen Diskussion spielt die Notwendigkeit einer Umorientierung der Lebensstile im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Theoretisch wird oft gefordert, einen Wandel hin zu einem veränderten Menschenbild in Gang zu bringen, das an Verantwortlichkeit, Bescheidenheit, Selbstlosigkeit und Sparsamkeit ausgerichtet ist. Mit E 13 (Beispiel für soziokulturelle Schwierigkeiten) kann gezeigt werden, dass auch zunächst marginal wirkende Auswirkungen bestimmter Lebensstile direkte Auswirkungen auf die Umwelt, auf Energieverbrauch, Transportkosten etc. haben; zumal dann, wenn viele Menschen (womöglich auch noch in der Dritten Welt) sich so verhalten.

Wie schwierig die Einlösung der Forderungen nach veränderten Lebensstilen ist, zeigt z. B. auch die seit längerem ansteigende Freizeitmobilität. Eine Gesellschaft, in der Freiheit, Erlebnis, Abenteuer und Individualität so hoch im Kurs stehen wie bei uns, wird z. B. einen Verzicht auf Flugreisen und auf Automobilität (bekannt hohe Umweltbelastungen) als unzumutbar empfinden und ein entsprechendes Verhalten (bis hin zur Abwahl der verantwortlichen Politiker) ablehnen.

Mit E 14 (Beispiel für das ökologisch-soziale Dilemma) kann exemplarisch ein weit verbreitetes Phänomen dargestellt werden: Menschen streben grundsätzlich nach Minimierung der eigenen (Verhaltens-)Kosten. Freie Umweltgüter werden - nicht aus bösem Willen gegenüber der Umwelt - deshalb extensiv genutzt, weil sie nichts kosten - jedenfalls für den Einzelnen persönlich nicht und auch nicht in der jeweiligen Situation. Hier kann die These diskutiert werden, dass Umweltbewusstsein desto weniger verhaltenswirksam ist, je größer die individuellen Kosten des individuellen Verhaltens sind.

4. Positive Ansätze (E 15 bis E 21)

Hier soll deutlich werden, dass es - trotz aller jetzt bekannten Widerstände - eine Fülle von praktikablen und auch erfolgversprechenden Beiträgen gibt, die in ihrer Summe ganz entscheidende Verbesserungen nach sich ziehen werden. Folgende Faktoren beeinflussen das individuelle Umweltverhalten positiv:

1. Wahrgenommene Handlungsmöglichkeiten

2. Handlungsrelevantes Wissen

3. Wirtschaftliche Anreize

4. Moralische Wertschätzung oder Vorbilder

5. Eindeutigkeit der Kommunikation

6. Unterstützung durch soziale Netzwerke

7. Wahrnehmung von positiven Konsequenzen

Einige der genannten Faktoren für ein umweltbewusstes Verhalten werden jeweils an einem konkreten Beispiel erläutert und auf andere Beispiele des persönlichen Alltags übertragen.

Wenn Menschen nicht nur eine, sondern mehrere Handlungsoptionen besitzen, werden sie eher geneigt sein, die Möglichkeit zu wählen, die mit geringeren Umweltbelastungen einhergeht. Voraussetzung ist allerdings, dass die unterschiedlichen Alternativen und Handlungsmöglichkeiten bekannt sind. E 15 (verschiedene Handlungsmöglichkeiten) zeigt eindrucksvoll, welche Unterschiede hinsichtlich des Energieverbrauchs beim Kochen mit verschiedenen Topfarten bestehen. Bei der Interpretation wird deutlich, dass umweltfreundliches Kochen nicht nur die Umwelt, sondern auch den eigenen Geldbeutel schont (zahlreiche, praktische Tipps in: Umweltbundesamt (Hrsg.): Umweltbewusst Leben. Handbuch für den umweltbewussten Haushalt, Ausgabe 1999, Bestellanschrift: s. Anschriftsliste am Ende des Bausteins).

Umweltgerechtes Verhalten setzt voraus, dass man die Konsequenzen des eigenen Verhaltens übersehen kann. Wer weiß, dass Energiesparlampen 80 Prozent weniger Strom als konventionelle Glühbirnen verbrauchen und bis zu achtmal länger leben, wird seine Kaufentscheidung eher umweltgerecht treffen als jemand, der dieses Sparpotential gar nicht kennt. Aufgabe könnte sein, im Unterricht handlungsrelevantes Wissen zusammenzutragen (z. B. Stand-by-Schaltungen, Innentemperatur von Kühlschränken, Kochtopf mit Deckel, Verzicht auf unnötigen Ballast im Auto). E 16 zeigt, dass ein energiesparender Fahrstil (frühes Schalten) erhebliche Mengen an Treibstoff einsparen kann, ohne auf Mobilität zu verzichten.

Wenn wirtschaftliche Anreize an umweltfreundliches Verhalten gekoppelt werden, erfolgt nicht nur ein Lernprozess, sondern auch eine positive Bestätigung der eigenen Einstellung und des eigenen Verhaltens. Das in Baden-Württemberg sehr erfolgreiche Schüler-Ferien-Ticket (E 18) kann als überzeugendes Beispiel für diesen Sachverhalt dienen. Die Aufgabe könnte darin bestehen, Auskünfte über Kosten, Bestimmungen, Geltungsbereich, Ersparnisse einzuholen und den Reiz des Angebots zu diskutieren.

Wenn Menschen mit der Umsetzung ihres Umweltbewusstseins in konkretes Verhalten gleichzeitig eine soziale oder moralische Wertschätzung erfahren, dürfte diese positive Anerkennung auf ihr Verhalten stabilisierend wirken. Damit umweltgerechtes Handeln als "chic", "modern" und "anerkannt" gelten kann, bedarf es sicher noch einiger Anstrengungen.

Durch Umweltbildung und Information lassen sich Unsicherheiten bei Kaufentscheidungen minimieren. Mit E 17 (Beispiel für Eindeutigkeit der Kommunikation) kann gezeigt werden, dass durch das inzwischen weit verbreitete Umweltzeichen unkomplizierte und nützliche Verbraucherhinweise gegeben werden. Aufgabe könnte sein, in verschiedenen Abteilungen eines Kaufhauses an Produkten solche Umweltzeichen zu entdecken und im Unterricht über diese Erkundung und vergleichende Beobachtungen zu berichten.

Je mehr der Einzelne erfährt, dass sich auch andere umweltgerecht verhalten, desto eher ist er bereit, sich ebenso - wie die anderen - zu verhalten. Die Integration von sozialen Netzwerken in Umweltbildungs- und Informationsprogramme erweist sich als eine besonders wirkungsvolle Methode umweltgerechtes Verhalten zu fördern. Hier sind die zahlreichen lokalen Prozesse zur Agenda 21 zu nennen (E 19). Weitere Informationen zur "Lokalen" Agenda 21 können beim baden-württembergischen Agenda-Büro eingeholt werden (Anschrift rechte Spalte).

Damit positive Konsequenzen, die durch das eigene oder gesamtgesellschaftliche Verhalten ausgelöst werden, auch abgelesen werden können, ist es wichtig, die Verbesserung der Umweltqualität öffentlichkeitswirksam zu kommunizieren ("Tue Gutes und rede darüber"). E 20 kann als Anregung dafür genommen werden, über einen längeren Zeitraum ähnliche Erfolgsmeldungen zu sammeln und in einer Wandzeitung auszustellen.

E 21 ist geeignet, eine Schlussdiskussion über die Kluft zwischen Wollen und Können zu führen. Die Aufgabe könnte darin bestehen, die parabelartige Geschichte vom Bergsteigen in ihren Einzelheiten auf den "Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung" zu übertragen. Was heißt und bedeutet dann in diesem Zusammenhang und in Kenntnis der eigenen Unzulänglichkeiten "angeben", "Flinte ins Korn werfen", "zu viel Elan", "keine Reserven", "Durchhaltevermögen", "Leichtsinn", "Wetterveränderungen", "Absicherungsmaßnahmen", "Kräftehaushalt", "Schwächen und Stärken der eigenen Person", "Übereifer"? Abschließend können die Schülerinnen und Schüler eigene Ratschläge für den langen, aber notwendigen Weg auf den Gipfel der Nachhaltigkeit formulieren. Auf die Beispiele in den anderen Bausteinen dieses Unterrichtsmodells wird verwiesen. Konkrete Tipps gibt es auch bei Institutionen, die gern entsprechendes Material für einen privaten oder lokalen Agenda-Prozess zur Verfügung stellen.

Anschriften

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Kennedyallee 5, 53175 Bonn

Umweltbundesamt, Fachgebiet Umweltaufklärung, Postfach 330022, 14191 Berlin

Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, Kernerplatz 9, 70182 Stuttgart

Akademie für Natur- und Umweltschutz beim Ministerium für Umwelt und Verkehr, Postfach 103439, 70029 Stuttgart

Agenda 21 - Büro: Landesanstalt für Umweltschutz, Postfach 210752, 76157 Karlsruhe

Landesinstitut für Erziehung und Unterricht, Wiederholdstr. 13, 70174 Stuttgart

Der Umweltbeauftragte der Diözese Freiburg, Herrenstr. 35, 79089 Freiburg

Der Umweltbeauftragte der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Eugen-Bolz-Platz 1, 72101 Rottenburg

Der Umweltbeauftragte der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Postfach 101352, 70012 Stuttgart

Der Umweltbeauftragte der Evangelischen Landeskirche Baden, Blumenstr. 1, 76133 Karlsruhe

BUND, Landesgeschäftsstelle Baden-Württemberg, Dunantstr. 16, 79110 Freiburg

Naturschutzbund Deutschlands, Landesgeschäftsstelle Baden-Württemberg, Tübinger Str. 15, 70178 Stuttgart


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