Die Diskussion um die Auswirkungen des Weltbevölkerungswachstums wird oft mit
apokalyptisch anmutenden Sprachbildern geführt: "Stehplatz für Milliarden?",
"Wird der Mensch zur Plage?" oder "Die Bürde des 21. Jahrhunderts".
Hier geht es um die sozialen, ökonomischen und ökologischen Konsequenzen, die sich aus
der Bevölkerungszunahme ergeben, und ihrerseits auf den Entwicklungsverlauf wie auch
auf die Entwicklungschancen der Weltbevölkerung einen meist negativen Einfluß nehmen.
Dabei macht die Tatsache, daß "die Bevölkerungsexplosion mit fast allen
Teilproblemen von Entwicklung auf engste verknüpft" ist (D. Nohlen 1998: Lexikon
Dritte Welt. Reinbek: Rowohlt. S. 94), die ausgeprägte Komplexität sowie die Vielzahl
der Folgewirkungen einer stark wachsenden Weltbevölkerung aus. Bei den Folgewirkungen
ist zwischen solchen positiver und solchen negativer Art zu unterscheiden. Diskutiert
werden diesbezüglich vor allem folgende Aspekte:
- Ressourcendruck, besonders auf landwirtschaftlich nutzbaren Boden und Wasser
- fortschreitende Zerstörung der Regenwälder
- weitere Ausdehnung der Steppen und Wüsten flächen
- Übernutzung nicht erneuerbarer und erneuerbarer Ressourcen
- zunehmendes Müllaufkommen und steigende Umweltbelastung
- weitere Erwärmung der Atmosphäre und Intensivierung des Treibhauseffektes
- Versorgungsengpässe
- Welternährungsprobleme und Hunger
- Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch Wassermangel
- Landflucht
- Städtewachstum/Megastädte
- Verarmung, abnehmender Wohlstand
- internationale und interkontinentale Migrationsbewegungen
- Internationale Arbeitskräftemigration
National- oder regionalspezifische Bedingungen wirken sich in besonderem Maße auf den
Einzelfall aus. Insbesondere der eklatante Unterschied der rückläufigen
Bevölkerungsentwicklung in den Industrienationen gegenüber der seit Jahren sprunghaft
ansteigenden in den Entwicklungsländern bewirkt eine grundsätzlich unterschiedliche
Problemlage. Während die Industrienationen mit der drohenden Schrumpfung ihrer
Bevölkerungen, der Überalterung ihrer Gesellschaften, der Funktionsstörung ihrer
zumeist auf dem Generationenvertrag basierenden Altersversorgungssysteme, der massiven
Zuwanderung aus Entwicklungsländern und damit verbunden mit den Problemen der realen
Umgestaltung ihrer Gesellschaften zu multikulturell geprägten Gemeinwesen zu kämpfen
haben, repräsentieren die oben aufgelisteten Problembereiche vorrangig die von
Überbevölkerung geprägten Staaten der "Dritten Welt".
Neben der Grundversorgung der Menschen mit Wasser und den lebensnotwendigen Nahrungsmitteln bereitet die ansteigende Belastung der Umwelt die größten Sorgen. Nur eine intakte
Umwelt (saubere Luft, sauberes Wasser und unbelastete Böden) ermöglicht gesundes Leben.
Doch die Wirklichkeit sieht seit langem anders aus, wobei insbesondere die großen Städte
immer wieder für Schreckensmeldungen sorgen. So kommen beispielsweise allein in Indiens
Zwölf-Millionen-Hauptstadt Neu-Delhi Jahr für Jahr 10 000 Menschen allein aufgrund der
massiven Luftverschmutzung in der Stadt ums Leben. Verursacher sind in erster Linie die
Kohlekraftwerke, Papierfabriken, die chemische Industrie sowie die Zweitaktmotoren der
Roller und Motor-Rikschas, deren Emissionen dazu führen, daß allein die krebserregenden
Benzole zwölffach über den in europäischen Großstädten zulässigen Grenzwerten
liegen. Nicht allein die unzureichenden Filteranlagen oder die vernachlässigte Handhabung
bestehender Umweltschutzvorschriften ermöglichen solche Entwicklungen, sondern vor allem
der im Gefolge des Weltbevölkerungswachstums ansteigende Energie bedarf, der zudem durch
einen weltweit zu beobachtenden rapide ansteigenden individuellen Verbrauch gleichsam
explodiert. Solche Entwicklungen sind nicht nur in Indien, sondern weltweit zu beobachten, wie eine im Frühjahr 1998 vorgelegte UN-Studie besagt. Danach sterbe in den
ärmsten Ländern der Welt jedes fünfte Kind wegen umweltbedingter Krankheiten vor
seinem fünften Geburtstag. Weltweit sterben allein an den Folgen der Luftverschmutzung
jährlich vier Millionen Kinder. Hinzu kommen 17 Millionen Tote aufgrund umweltbedingter
Infektionskrankheiten sowie fünf Millionen Menschen, die sterben, nachdem sie mit
Insektenbekämpfungsmitteln in Kontakt gekommen sind.
Zu den beängstigendsten Entwicklungen und Prognosen unserer Tage zählt das erst in
jüngster Zeit in einer breiteren Öffentlichkeit diskutierte Problem der auf die Welt
zukommenden Wasserkrise. Von dieser werden nicht nur die traditionell an Wassermangel
leidenden Trockengebiete der Erde betroffen sein, sondern in zunehmendem Maß auch die
Gesellschaften, die Wasser von jeher für ein unbegrenzt und jederzeit zur Verfügung
stehendes Gut gehalten haben.
Die Überbevölkerung vieler Regionen der Erde, die in den mehr als zehn Millionen
Menschen zählenden Megastädten am dramatischsten sichtbar wird, bedroht zwar nicht die
existentielle Lebensgrundlage, senkt aber die Lebensqualität. Das Extrem dieser immer
weiter fortschreitenden Bevölkerungskonzentration findet sich in Hongkongs Stadtteil Kowloon, wo Bevölkerungsdichtewerte von 160 000 Einwohner - etwas mehr als die
Einwohnerzahl von Heidelberg - auf einem einzigen Quadratkilometer zu Hause sind. Das
Abstrakte dieses Wertes verliert sich erst bei einem Blick in die Lebensverhältnisse der
sogenannten "Käfigmenschen", deren Zuhause aus einem Metallgitterbehälter
besteht, dessen Aus maße es dem Bewohner nicht ermöglichen, daß er sich beim Schlafen
ausstreckt. In langen Reihen dicht aneinander gedrängt und zudem übereinander gestapelt
leben in diesen Käfigen annähernd ein hundert Menschen auf der Fläche einer 70 Quadratmeter großen Wohnung.
Extrembeispiele wie diese mögen die weltweiten Folgen des Bevölkerungswachstums
überzeichnen. Denkt man aber entlang der mittleren oder gar hohen Variante der
Weltbevölkerungsprognosen der Vereinten Nationen eine oder zwei Generationen weiter, so
wird sich die Zahl der umweltbedingten Toten dramatisch erhöhen und Hongkongs
Armenviertel Kowloon kein Einzelfall mehr sein. Heute bereits werden in vielen Staaten
erkennbare positive Entwicklungen im Bereich des Gesundheits- oder des Bildungswesens
durch die starke Zunahme der Bevölkerung wieder zunichte gemacht.
Demographisch verursachte Problemketten in Industrie- und Entwicklungsländern
Industrieländer
(niedrige Geburtenrate)
|
Entwicklungsländer
(hohe Geburtenrate) |
Welt
(hohe Geburtenrate) |
1. Drohende Bevölkerungs-
schrumpfung
2. Demographische Alterung
3. Gefährdung der wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen (Alters- und Krankenver-
sicherung)
4. Polarisierung der Gesellschaft in eine reproduktive und eine nichtreproduktive
Teilgruppe
5. Verknappung der Arbeitskräfte und massenhafte Einwanderungen
6. Ethnische und interkulturelle Spannungen und Konflikte
7. Zunahme des staatlichen Lenkungsbedarfs
8. Grenzüberschreitende Umweltprobleme |
1. Bevölkerungswachstum
2. Massenarbeitslosigkeit der jungen Generationen
3. Weitgehendes Fehlen staatlicher Unterstützungssysteme für die Altersphase der heute
jungen Generationen
4. Extreme Schichtenunterschiede der Lebensbedingungen
5. Armutsflüchtlinge,
Umweltflüchtlinge, Bürgerkriegsflüchtlinge, Asylsuchende
Spannungen und Konflikte
6. Ethnische und interkulturelle Spannungen und Konflikte
7. Konfliktverlagerung nach außen und Kriegsgefahr
8. Grenzüberschreitende Umweltprobleme |
Weltweites Bevölkerungswachstum von 5,5 auf über 10 Mrd. Menschen Zunehmende
internationale Disparitäten zwischen reichen und armen Ländern
Steigender supranationaler Handlungsbedarf. Die Bevölkerungsentwicklung ist ein
Multiplikator der Umweltprobleme |
|
|
|
Herwig Birg:
Weltbevölkerungswachstum, Entwicklung und Umwelt. Dimensionen eines globalen Dilemmas.
In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 8 35-36/1994. S. 31.
Didaktisch-methodische Überlegungen
Die Materialien sollen in erster Linie der vertieften Erarbeitung der Konsequenzen des
Weltbevölkerungswachstums dienen und den Schülern die Komplexität der Problematik
verdeutlichen. Die in B 1 gezeigte Karikatur eignet sich als Einstieg in die Komplexität
der mit dem Bevölkerungswachstum eng verbundenen Folgewirkungen. Als ein konkretes,
gerade auf die engen Verbindungen von Bevölkerungswachstum und Ökologie eingehendes Bei
spiel könnte - um nicht immer nur die Abholzung der tropischen Regenwälder zu
thematisieren - auf die Hochwasserkatastrophe am Jangtsekiang im Sommer 1998 oder auf die
großen Überschwemmungen in Mittelamerika im November 1998 eingegangen werden. Das
starke Anwachsen der chinesischen Bevölkerung in den vergangenen Jahrzehnten hat die
Behörden dazu verleitet, die natürlichen Auffangbecken für unregelmäßig auf tretende
Hochwasser des Jangtsekiang, namentlich die Niederung des Dongting-Sees südlich von
Shishou sowie das Becken des Poyang-Sees südlich von Jiujiang, trocken zu legen und in
Siedlungs- und Ackerland zu überführen. Extreme Hochwasserereignisse wie das des Sommers
1998 zeigen in verheerender Weise, welche nachhaltigen negativen Folgen für den Menschen
mit einer Siedlungs- und Landwirtschaftspolitik verbunden sein können, die ökologische
Erfordernisse ignoriert. Die chinesische Regierung hat nach der Katastrophe ihre Lehren gezogen und reagiert, indem sie beschloß, daß die einstigen Auffangbecken wieder ihrer
ursprünglichen Funktion zugeführt werden.
Um den Schülern eine Vorstellung davon zu vermitteln, was es heißt, wenn 160 000
Menschen auf einem Quadratkilometer zusammenleben, können sie in ihrem eigenem
Lebensumfeld eine analoge Situation nachstellen. Dazu eignen sich etwa einzelne
Stadtteile von Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim oder Freiburg. Anhand eines Stadtplanes
sollen die Schüler eine von der Stadtverwaltung als eigenständige statistische Einheit
ausgewiesene Stadtteilfläche abgrenzen und die sich für diese Raumeinheit ergebende
Bevölkerungsdichte pro Quadratkilometer errechnen. Da die errechneten Werte der
Bevölkerungsdichte für die baden-württembergischen Städte nur einen Bruchteil der
Hongkonger Verhältnisse ergeben, sollten die Schüler mit Hilfe von Stadtteilstatistiken
das Ausgangsareal mit den Einwohnerzahlen weiterer Stadtteile so lange
"füllen", bis sich deren Summe auf 160 000 Menschen pro Quadratkilometer
beläuft. Damit er gibt sich für die Schüler auf der Grundlage ihrer eigenen
Erfahrungswelt am ehesten eine Vorstellung der Bevölkerungsdichte des Hongkonger
Stadtteils Kowloon. Im Gemeinschaftskunde-Unterricht ist die Frage zu diskutieren, ob dem
unkontrollierten Städtewachstum durch verordnete Zuzugsbeschränkungen oder -verbote,
d. h. durch die Einschränkung des Rechts auf Freizügigkeit entgegengewirkt wer den darf.
Die Schüler sollen darüber nachdenken, was es für die Ernährungssituation der
Weltbevölkerung bedeutet, wenn immer mehr Menschen in Städten geben (B 6, B 7). Zu
nennen ist die zwangsläufige Steigerung der agrarischen Produktivität, die von
verhältnismäßig immer weniger Menschen zu leisten sein wird, die erforderlichen
Mehrtransporte der produzierten Agrargüter in die städtischen Zentren und der damit
verbundene Mehrverbrauch an Energie sowie die dadurch verursachte zusätzliche Erwärmung
der Erdatmosphäre mit ihren Folgen.
Der Versorgung mit Wasser sollte besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, da es sich
dabei um eine existentiell wichtige Ressource handelt, deren nachhaltiger Schutz
Priorität genießen muß (B 4). Es gilt, schonende Verhaltensweisen im Umgang mit Wasser
einzuüben. |