Zeitschrift 

Der Landtag von
Baden-Württemberg

 

 

 

 

Heft 4/2004, 
Hrsg.: LpB



 

Inhaltsverzeichnis

Der Landtag von Baden-Württemberg

EINLEITUNG


Mehr als 40.000 Menschen besuchen jährlich den Landtag von Baden-Württemberg. Etwa die Hälfte davon sind Schülerinnen und Schüler. Die Zahlen belegen eindrucksvoll, welche Bedeutung das Landesparlament als außerschulischer Lernort hat.

Die Bedeutung des Landtags

"Die Staatsgewalt geht vom Volke aus", so sagt es die Verfassung des Landes Baden-Württemberg. Aber warum eigentlich Parlamente? Damit ist eine der Grundfragen angesprochen, die es mit Schülerinnen und Schülern im Vorfeld eines Landtagsbesuchs zu diskutieren gilt. Die Bedeutung des Parlaments in der repräsentativen Demokratie ist dabei besonders herauszuarbeiten. Die Staatsgewalt wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch die besonderen Organe der Gesetzgebung (Legislative), der vollziehenden Gewalt (Exekutive) und der Rechtsprechung (Judikative) ausgeübt. Das Parlament hat dabei eine zentrale Funktion: Es ist die demokratisch gewählte Vertretung des Volkes. Die Abgeordneten sind demokratisch legitimierte Repräsentanten des Volkes. Sie vertreten in der repräsentativen Demokratie das Volk als den Souverän.

In einer modernen Gesellschaft stellt der Staat eine ganze Fülle unterschiedlicher Leistungen zur Verfügung. Für jeden Einzelnen regelt er zahlreiche Lebensbereiche. Darüber muss im Sinne und zum Wohle der Allgemeinheit verhandelt und entschieden werden. Aber auch Konflikte, die in der Gesellschaft bestehen, müssen geregelt werden. Wo soll eine Straße gebaut werden? Darf eine muslimische Lehrerin an einer baden-württembergischen Schule ein Kopftuch tragen? Solche und viele andere Fragen werden im Parlament behandelt und entschieden. Die Volksvertretung ist ein Ort des nach demokratischen "Spielregeln" festgelegten Konfliktaustrags, der Diskussion, Debatte und Entscheidung.

Im Parlament werden Mehrheiten gebildet und Gesetze gemacht. Das geschieht nach den demokratischen Regeln von Mehrheit und Minderheit, von Überzeugen und Kompromiss. Die Gesetze erhalten ihre Legitimität, weil sie von gewählten Volksvertretern verabschiedet werden. Demokratisches Handeln setzt Mehrheiten voraus. Nur demokratisch zustande gekommene Mehrheiten legitimieren die staatliche Machtausübung. Demokratie beruht also auf einem Grundkonsens: Die Minderheit akzeptiert die Entscheidungen der Mehrheit, die Mehrheit gewährt der Minderheit Schutz.

LMZ

Kompetenzverlust der Länderparlamente

Der zentralen demokratischen und verfassungsrechtlichen Bedeutung des Landtags steht die Tendenz zum Bedeutungsverlust der Länderparlamente gegenüber - auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Bei einer von Schülerinnen und Schülern der Schillerschule Esslingen durchgeführten Passantenbefragung nach den Landtagsabgeordneten ihres Wahlkreises ergab sich ein eher ernüchterndes Bild. Nur wenige der Interviewten kannten die Namen ihrer parlamentarischen Vertreter. Auch wenn es sich hier nur um eine spontan initiierte Zufallsumfrage handelte, dürfte das Ergebnis einer landesweiten repräsentativen Umfrage vermutlich kaum besser ausfallen.

Betrachtet man die Wahlbeteiligung bei den baden-württembergischen Landtagswahlen seit 1952, so ist zunächst bis 1972 ein Anstieg, nach 1972 jedoch ein kontinuierlich nachlassendes Interesse an den Wahlen festzustellen. Trotz des deutlichen Rückgangs der Wahlbeteiligung stehen die Landtagswahlen bei den Wählerinnen und Wählern jedoch höher im Kurs als die Wahlen zu den kommunalen Parlamenten oder zum Europäischen Parlament. Nur die Wahlen zum Bundestag lockten bisher mehr Wahlberechtigte an die Urnen.

Selbst wenn man feststellt, dass die Landtagswahlen in der Gunst der Wählerinnen und Wähler an zweiter Stelle stehen, kann man den Rückgang der Wahlbeteiligung nicht kommentarlos hinnehmen. Die Frage nach den Ursachen und Gründen drängt sich auf. Liegt es an einem allgemein nachlassenden Interesse an politischen Vorgängen? Gibt es zu wenige landespolitische Themen und Entscheidungen, die für die Bevölkerung von mobilisierender Bedeutung sind? Gelingt es dem Landesparlament in zu bescheidenem Ausmaß, seine politischen Entscheidungen, die in viele Bereiche unseres Lebens eingreifen und unseren Alltag mitbestimmen, so transparent zu machen, dass sich eine große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger angesprochen fühlt? Wird die Landespolitik zunehmend von bundes- und europapolitischen Themen überlagert, so dass baden-württembergische Aspekte immer mehr in den Hintergrund gedrängt werden? Und welche Rolle spielen in diesem Prozess die Medien?

Unbestritten ist jedoch die Tatsache, dass es seit einigen Jahren einen Kompetenzverlust der Länderparlamente gibt. Nicht nur dem baden-württembergischen Landtag macht dieser Umstand zu schaffen. Nahezu alle Landesparlamente diskutieren dieses Problem und suchen nach Lösungen. Dabei stellen sie fest, dass die wohl wesentlichste Ursache die Kompetenzverlagerung weg von den Ländern hin zum Bund und der Europäischen Union ist. Die Landtage haben Freiräume für die eigene Politikgestaltung verloren und zahlreiche originäre Länderzuständigkeiten an den Bund und die EU abtreten müssen. Durch die Verflechtung der politischen Ebenen wird es für die Bevölkerung im Land immer schwieriger zu erkennen, welche Institutionen und Parteien für bestimmte Aufgaben und Entscheidungen die Verantwortung tragen. Wenn klare Alternativen nicht erkennbar sind, kann auch dies ein Grund dafür sein, dass die Wahlberechtigten den Wahlurnen fernbleiben.

LMZ

 

Von der Schlagfertigkeit der Abgeordneten

     
  Abg. Boris Palmer (GRÜNE): "Sie haben Mut, wenn es um den Straßenbau geht. Dann sind Sie ein baden-württembergischer Löwe. ... Wenn es um die Schiene geht, haben Sie den Mut eines hohenlohischen Zwergkaninchens.

"Reaktionen auf die Rede des Abg. Dieter Kleinmann (FDP/DVP), Pfarrer und Dipl.-Volkswirt:
Abg. Max Nagel (SPD):
"Wenn Mäuse auf den Tischen tanzen, dann sprach der Pfarrer von Finanzen!"

Abg. Heike Dederer (GRÜNE): "Beim Kollegen Kleinmann hat man zumindest phasenweise den Eindruck gehabt, er als Pfarrer hätte den Teufel als Vorbild."

Abg. Dieter Kleinmann (FDP/DVP): "Ich mache es wie Martin Luther: Tritt fest auf, mach's Maul auf, hör bald auf. Danke schön."

Abg. Jürgen Walter (GRÜNE): "Sie haben vielleicht einmal etwas von Glasnost in der Sowjetunion gehört, aber Transparenz in der Agrarpolitik war für Sie ein Fremdwort." (Zwischenruf des Abg. Richard Drautz, FDP/DVP, Weinbaumeister). Abg. Dr. Dieter Salomon (GRÜNE): "Der Drautz versteht mehr vom Glas Most als von Glasnost!"

Abg. Dr. Eugen Klunzinger (CDU), Universitätsprofessor: "An die Verelendung der Studenten glaube ich nur unter zwei Voraussetzungen: Erstens wenn ich im Umkreis von fünf Kilometer um die Universität einen Parkplatz und wenn ich abends in der Kneipe einen Sitzplatz finde."

Die Zitate stammen aus der 13. Legislaturperiode des Landtags von Baden-Württemberg.

 
     

 

Wie will man nun aus diesem Dilemma herauskommen? Sowohl auf Landes- und Bundesebene wie auch im vereinten Europa gibt es die Einsicht, dass eine Entflechtung der Aufgaben von Europäischer Union, Bund und den Ländern unabdingbar ist. Der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel äußerte sich dazu folgendermaßen: "Die Gestaltungsrechte der Länder müssen gestärkt werden, um mehr Bürgernähe und Effizienz zu erreichen. Wir brauchen in Deutschland mehr Gestaltungsföderalismus. Wir müssen Entscheidungsstrukturen schaffen, die am Prinzip der Subsidiarität ausgerichtet sind. Die Menschen müssen wieder besser durchschauen können, wer für welche Politik verantwortlich ist."1 Diese Fragen sind die zentralen Diskussionspunkte der vom Bundestag und Bundesrat im Winter 2003 einberufenen Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung (so genannte Föderalismuskommission).2

1 In: Das Parlament vom 29. Dezember 2003.
2 Vgl. hierzu das Heft 2/2005 der LpB-Zeitschrift "Bürger im Staat", das im Juni 2005 erscheint ("Föderalismus auf dem Prüfstand").

 

Die wichtigsten Steuereinnahmen und Aufgabenfelder der Gemeinden, der Länder und des Bundes im Überblick.

 

 

 

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Die Gesetzgebung zum so genannten "Kopftuchverbot" in den deutschen Ländern (Stand: Ende Juni 2004).

 

Zur Konzeption dieses Heftes

Die zahlreichen Gäste des Landtags aus nah und fern, darunter jährlich annähernd 20.000 Schülerinnen und Schüler, bekunden durch ihren Besuch ihr Interesse an der Arbeit des Landesparlaments. Diese Besuche von Schulklassen bieten ein den Gemeinschaftskunde- und Politikunterricht aller Schularten ergänzendes Angebot. Der Landtag als wichtiger außerschulischer Lernort ergänzt durch Besuchsprogramme, durch die Teilnahme an Plenarsitzungen und durch Gespräche mit Abgeordneten in hervorragender Weise die unterrichtliche Arbeit. Das vorliegende Heft von Politik & Unterricht will diese Aufgabe unterstützen. Es wendet sich vor allem an Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I und soll sowohl der Auseinandersetzung mit dem Landtag dienen, wenn für die Schulklasse kein Parlamentsbesuch geplant ist, als auch der konkreten und intensiven Vor- bzw. Nachbereitung eines Besuchs im Landtag.

Einen Anspruch auf Vollständigkeit kann das Heft nicht erfüllen. Vielmehr wurde es mit der Absicht erarbeitet, den Schülerinnen und Schülern die entscheidenden Institutionen, Arbeitsinstrumente und Arbeitsabläufe des Parlaments nahe zu bringen. Baustein A setzt sich mit den Rechten und Funktionen des Landtags auseinander, ohne die die Bedeutung des Landtags und seine Arbeitsabläufe kaum zu verstehen sind. Im Zentrum des Bausteins B stehen die Abgeordneten, ihr Zusammenschluss zu Fraktionen sowie der "Arbeitsalltag" der Abgeordneten in Ausschüssen und Arbeitskreisen. Baustein C liefert anhand des Gesetzes über das Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen an baden-württembergischen Schulen ein detailliertes und Schülerinnen und Schüler ansprechendes Beispiel, warum und wie der Landtag ein Gesetz macht. Dabei gilt zu betonen, dass die engere Zielsetzung dieses Bausteins darin liegt, anhand eines konkreten Beispiels nachzuvollziehen, wie ein Gesetz entsteht. Darüber hinaus kann der Baustein natürlich auch zur Diskussion über das Kopftuchverbot selbst dienen.


 

 


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