Zeitschrift

Die sechziger Jahre

in der Bundesrepublik Deutschland


Baustein A: A3 - A8
Wird jetzt alles anders ?


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Inhaltsverzeichnis

 

A 3 Was für ein Jahrzehnt!

a) Tom Wolf: Die Naivität anzunehmen, das Unmögliche könne geschehen, machte die Sixties überhaupt erst möglich.

Wolfgang Schepers (Hg.): '68. Design und Alltagskultur zwischen Konsum und Konflikt, Köln 1998, S. 7.

b) Das Magazin "Der Stern" im Rückblick auf das Jahrzehnt: Wir sahen, wie der erste Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte, und bekamen den Kennedy-Mord in Zeitungen vorgeführt, Vietnam-Greuel, Afrika-Massaker, Minirock, Beatles-Musik, Sexwelle, Aufklärung, Herztransplantation - nichts blieb uns erspart und auf nichts mussten wir verzichten. Was für ein Jahrzehnt!

Zitiert nach: Hans Veigl: Die 50er und die 60er Jahre, Wien (Ueberreuter) 1996, S. 195.

A 4 Am Beginn einer neuen Ära

Aus der CDU-Studie "Untersuchungen über das geistige und gesellschaftliche Bild der Gegenwart" (1962)

Wir können die Augen vor der Wirklichkeit nicht verschließen, ... dass die Spontaneität der Gründungsjahre abklingt; dass eine neue Generation herangewachsen ist, die Weimar, Hitler, Krieg und Not nicht mehr elementar erlebt hat; dass die Not vergessen und die Wohlfahrt selbstverständlich geworden ist..., dass neue Themen und Aspekte Zeitgeist und Weltpolitik beeinflussen; dass der Kommunismus anders auftritt; dass mehr nach Staat und Rente als nach Selbstvorsorge und Eigentum gerufen wird; dass Autorität wenig geliebt und die Gesellschaft dem Staat vorgezogen wird...

Untersuchungen beider Kirchen verzeichnen ein rückläufiges religiöses Interesse...; die Arbeitslust wird träger, die Freizeit größer wie auch die Ansprüche; die Standkraft der menschlichen Person und eigenständige Originalität werden schwächer...

Das Erreichte wird als Selbstverständlichkeit konsumiert, und man fragt uns zunehmend: Kennt ihr überhaupt die Fragen von morgen, und, wenn ja, wie sind eure Antworten?

Zitiert nach Arnulf Baring: Machtwechsel, Stuttgart (Deutsche Verlagsanstalt) 1982, S. 78 f.

A 5 Eine neue Generation

Mitte der sechziger Jahre wurde die erste nach dem Krieg geborene Generation erwachsen, entwickelte sich eine neue Opposition gegen überkommene Strukturen, gegen die Muffigkeit und Spießbürgerlichkeit des Adenauer-Staates.

Die Opposition formulierte sich in freieren Geschlechterbeziehungen und einer neuen Wertschätzung sexueller Freizügigkeit (gefördert durch die Einführung der Pille ab 1962), in der Forderung nach Chancengleichheit und besserer Qualifikation in der Ausbildung, im politischen Engagement gegen den Vietnamkrieg und gegen die Notstandsgesetze und schließlich ... in der außerparlamentarischen Opposition. Es ging vor allem um mehr Öffentlichkeit, um neue Öffentlichkeitsformen, um ein Eingreifenwollen in gesellschaftliche Prozesse.

Damit verbunden war eine gewisse Konfliktfreudigkeit, ein neues sich in den Widersprüchen lustvoll auslebendes Lebensgefühl, dem der Wunsch nach Harmonie altmodisch galt. Die neue Mentalität kündigte sich ... in einer heftigen Opposition an, die besonders von der jüngeren Generation ausging ..., die nun nachfragte, was denn da die ganze Zeit verschwiegen, verdrängt worden war, und die vor allem eines wollte: es nun ganz anders machen ...

Knut Hickethier: Die Zugewinngemeinschaft; in: Hoffmann, Hilmar/Schobert, Walter (Hg.): Abschied vom Gestern, Frankfurt/M. 1991 (Deutsches Filmmuseum), S. 192

A 6 Angleichung der Geschlechter

Neue, den Männern gleichberechtigte Bewegungsfreiheit verschaffen den Frauen Ende der sechziger Jahre auch die Hosenanzüge und Hosen mit Hemdblusen als Tageskleidung ..., während die Männermode körpernaher (taillierte Anzüge und Hemden), weicher (Cord-Anzüge, Samthosen), bestrickender (Jersey-Hemden), bunter, verspielter (plissierte oder mit Rüschen besetzte Hemden zum dunklen Anzug) und schmuckiger (Hals- und Armkettchen), kurzum: feminisiert wird ...

Die starken Männer dürfen nun auch Schwäche und Empfindlichkeit, mithin mehr Sensibilität zeigen ... Das schwache Geschlecht ... darf nun auch Stärke und eigenen Willen demonstrieren und männliche Aktivität entfalten.

Die Geschlechter gleichen sich auch im Tragen lang wachsender, natürlich fallender Haare einander an. Der ... Gedanke der Emanzipation von Mann und Frau findet seinen Ausdruck in der Kreation des "Partnerlooks", der ein neues partnerschaftliches Denken im Zusammenleben - von der beruflichen und Küchenarbeit bis zu Kinderbetreuung - signalisiert.

Christian de Nuys-Henkelmann: Happening ist überall; in: Hilmar Hoffmann/Heinrich Klotz (Hg.): Die Sechziger, Düsseldorf (Econ) 1987, S. 46.

A 7 Denkwürdiges und Merkwürdiges aus den sechziger Jahren

1960-1963: Die ersten Schritte ins neue Jahrzehnt

Juni 1960

Mit einer Grundsatzrede im Deutschen Bundestag leitet der stellvertretende SPD-Vorsitzende Herbert Wehner den außenpolitischen Kurswechsel der SPD ein (Bekenntnis zur europäischen und atlantischen Bündnis- und Verteidigungspolitik; Annäherung an die außenpolitische Linie der CDU/CSU unter Konrad Adenauer).

April 1961

Als erster Mensch umkreist der Russe Juri Gagarin in einer Weltraumkapsel die Erde.

August 1960

Das Jugendarbeitsschutzgesetz legt das Mindestalter für die Beschäftigung Jugendlicher in der Bundesrepublik auf 14 Jahre fest.

August 1961

Die DDR beginnt mit dem Mauerbau in Berlin.

Mai 1962

In Israel wird nach einem langen Prozess der deutsche SS-Kriegsverbrecher Adolf Eichmann hingerichtet.

Juni 1962

In München kommt es zu Straßenschlachten zwischen der Polizei, die Gitarrespieler wegen ruhestörenden Lärms festnehmen will, und erbitterten Jugendlichen ("Schwabinger Krawalle").

Oktober 1962

Nach dem gescheiterten Versuch der Sowjetunion, Kuba zu einem Raketenstützpunkt gegen die USA auszubauen ("Kuba-Krise"), beginnt eine Phase der Entspannung zwischen Washington und Moskau.

Herbst 1962

Die Beatles erobern die Hitparaden in Westeuropa und USA.

Ende 1962

Eine Umfrage unter den Sechzehnjährigen ergibt, dass nur jede(r) Fünfzigste eine feste Freundin/ einen festen Freund hat (1999: jede/r Vierte).

Januar 1963

Die Fußball-Bundesliga wird gegründet. Konrad Adenauer und Charles de Gaulle unterzeichnen den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag.

April 1963

Das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) nimmt in Mainz seinen Sendebetrieb auf.

August 1963

Der Bikini an deutschen Badestränden wird zunächst als "unanständig" abgelehnt.

Oktober 1963

Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) tritt zurück. Sein Nachfolger wird Ludwig Erhard (CDU).

1964-1966: Reformen und Anfänge der Protestbewegung

März 1964

Auf den Straßen New Yorks erscheinen die ersten Skinheads.

April 1964

Nach dem Angriff nordvietnamesischer Torpedoboote auf den US-Zerstörer Maddox im Golf von Tonking ordnet der US-Präsident Johnson Luftangriffe auf Nordvietnam an.

Juli 1964

Die Bürgerrechtsgesetzgebung in den USA verbessert die Gleichstellung der Schwarzen in der amerikanischen Gesellschaft.

September 1964

Als erstes Bundesland strahlt Bayern ein Drittes Fernsehprogramm aus.

Oktober 1964

Das IOC beschließt, dass bei den Olympischen Spielen zukünftig zwei deutsche Mannschaften antreten (Vertiefung der Spaltung Deutschlands).

Ende 1964

In Deutschland wird der erste Videorecorder angeboten (Preis: fast 7000 DM).

April 1965

In Frankfurt beginnt der Auschwitz-Prozess, das größte Strafverfahren eines deutschen Gerichts gegen NS-Verbrechen. - Ein Bundesgesetz fordert die Pflege und Verbesserung der Umwelt.

Mai 1965

Israel und die Bundesrepublik Deutschland nehmen diplomatische Beziehungen auf.

September 1965

Nach einem Konzert der englischen Rockgruppe "The Rolling Stones" in Berlin kommt es zu mehrstündigen Straßenschlachten zwischen der Polizei und Jugendlichen.

Frühjahr 1966

In Peking beginnt - mit Billigung Mao Tse-tungs die "Große proletarische Kulturrevolution". - In US-amerikanischen Städten finden Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg statt.

Juni 1966

In Berlin besetzen Studenten die Aula der Freien Universität und fordern eine durchgreifende Hochschulreform.

Juli 1966

In der westdeutschen Metallindustrie wird die 40-Stunden-Woche eingeführt.

Herbst 1966

Die Freiwillige Selbstkontrolle des Films in Wiesbaden befindet, dass die Darstellung von Nacktheit im Film im Grunde nicht gegen die Sittlichkeit verstoße.

November 1966

Bei den Landtagswahlen in Hessen überspringt die NPD die Fünfprozenthürde.

Dezember 1966

Unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) wird in Bonn die "Große Koalition" aus CDU/CSU und SPD geschlossen.

1967-1969: Eskalation des Protests und Ausklang des Jahrzehnts

Februar 1967

Die DDR setzt in einem "Staatsangehörigkeitsgesetz" die gemeinsame Staatsangehörigkeit aller Deutschen außer Kraft.

April 1967

Der Militärputsch in Griechenland führt zur Errichtung einer Militärdiktatur.

Mai 1967

Beim Staatsbesuch des Schahs Reza Pahlewi in der Bundesrepublik kommt es zu lauten Protesten gegen die innenpolitischen Zustände im Iran und zu heftigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei.

Juni 1967

Der Student Benno Ohnesorg wird bei einer Demonstration in Berlin von einem Polizisten erschossen.

Juli 1967

Die US-Raumfähre Apollo landet auf dem Mond.

Herbst 1967

Der erste tragbare Kassettenrecorder kommt auf den deutschen Markt.

Dezember 1967

Der Arzt Christiaan Barnard führt in Kapstadt/Südafrika die erste Herztransplantation durch.

April 1968

In zwei Kaufhäusern in Frankfurt explodieren nachts Brandsätze, die einen hohen Sachschaden verursachen; die terroristische Phase der Studentenbewegung beginnt.

Martin Luther King, der Repräsentant der gewaltlosen Bürgerrechtsbewegung in den USA wird ermordet.

Mai 1968

Bei einem Sternmarsch auf Bonn demonstrieren etwa 30 000 Menschen gegen die Notstandsverfassung, die am 31. Mai 1968 vom Deutschen Bundestag verabschiedet wird.

Juni 1968

Die Nato erklärt sich unter bestimmten Voraussetzungen zu einer ausgewogenen Truppenreduzierung in Europa bereit.

Mai/Juni 1968

Massendemonstrationen, Streiks und Straßenschlachten in Paris und anderen französischen Städten

August 1968

Fünf Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts - darunter die DDR - intervenieren militärisch in der CSSR und beenden den "Prager Frühling".

Mai 1969

Die Strafrechtsreform schafft die strafrechtliche Verfolgung von Ehebruch und Homosexualität in der Bundesrepublik Deutschland ab.

Juli 1969

Der US-amerikanische Astronaut Neil Armstrong setzt als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond.

August 1969

Eine halbe Million junger Menschen der Jeans- und Trunschuhgeneration versammelt sich bei Bethel im US-Bundesstaat New York zum bis dahin größten Rockfestival. (Woodstock)

Oktober 1969

Die sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) löst die Große Koalition ab; die CDU/CSU übernimmt zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik die Opposition.



Deutscher Wohlstand während der sechziger Jahre

Ausstattung der Haushalte mit langlebigen Konsumgütern

Nach Ralf Rytlewski/ Manfred Opp de Hipt: Die Bundesrepublik Deutschland in Zahlen 1945/49 - 1980, München (Beck) 1987, S. 140, S. 43 und S. 227.

 

A 8 Einstellungswandel

Ergebnisse von Umfragen des Allensbacher Instituts für Demoskopie (Angaben in Prozent)

1. Lebensgefühl

Frage: "Würden Sie sagen, wir leben heute alles in allem in einer glücklichen Zeit, oder haben Sie das Gefühl, dass wir ziemlich schwierige Zeiten durchmachen?"

                             Januar              Juli                       Juli
                              1963              1966                     1970

Glückliche Zeit             31                  40                       44

Ziemlich schwierig         45                  42                       37

Unentschieden              24                 18                        19

Jahrbuch 5, S. 125.

2. Erziehung

Frage: "Ob Eltern ihr Kind schlagen sollen, wenn es ungezogen ist, darüber kann man verschiedener Meinung sein. Hier sind drei Ansichten beschrieben. Wie denken Sie persönlich darüber?"

                                               September              September
                                                   1965                      1970

"Es ist grundsätzlich verkehrt, 
dass man ein Kind schlägt, 
man kann jedes                                 16                         28
Kind auch ohne Schläge
erziehen."

"Schläge kommen höchstens 
als letztes Mittel in Frage,
wenn wirklich nichts                            46                        39
anderes mehr hilft."

"Schläge gehören auch zur
Erziehung, das hat noch                       36                        29
keinem Kind geschadet."

Unentschieden, keine Angabe                 2                          4

Jahrbuch 4, S. 52 und 5, S. 74.

3. Politisches Interesse

Frage: "Einmal ganz allgemein gesprochen: Interessieren Sie sich für Politik?

                                     Februar            August           November
                                       1960               1965                1969

Ja                                       27                  35                   44

Nicht besonders                     40                  43                   40

Gar nicht/ keine 
konkrete Angabe                    33                  22                   16

Jahrbuch 5, S. 213.

Elisabeth Noelle/ Erich Peter Neumann (Hg.): Jahrbuch der öffentlichen Meinung 4 (1963-1965); Allensbach/Bonn 1963 und 5 (1966-1973), Allensbach/Bonn 1973.


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