Heft 3/98 Kein Ich ohne Wir
Baustein C: Die Schule und die Freunde
C 8 - C 13 Mobbing unter Schülern
C 8 Was da abläuft, ist extrem
Die Hatz beginnt jeden Morgen neu. Wenn Julian die Klasse betritt, röhrt es von
verschiedenen Plätzen: "Ah guckt mal, was der wieder für Bio-Klamotten anhat!"
Manchmal stülpt ihm jemand den Kragen um und ruft: "Der trägt ja einen Pullover vom
Super markt!"
"So was ist natürlich total verpönt bei uns", sagt Marko, Wortführer der Schreihälse. Wer keine teuren "Label-Anziehsachen" hat, wie fast alle Schüler des Gymnasiums im Hamburger Elbvillenviertel Othmarschen, "der wird die ganze Zeit geärgert" (Marko). Hänseln und Piesacken sind angesagt, wenn jemand "äußerlich nicht so schön ist", eine große Nase hat, zu dick ist oder lispelt, berichtet Marko. Monatelang aufgezogen, "bis sie nur noch heulend dasitzen", würden Mitschüler auch, wenn sie mal einen "Fehler" machen - so wie ein Junge, der auf einer Klassenreise Durchfall bekam: "Da kamen immer wieder Sprüche wie ,Igitt, du stinkst ja`." Besonders schwer haben es diejenigen, die "gut in der Schule sind und immer nett zu den Lehrern": Die werden, so Marko, "am schlimmsten gemobbt". Der hübsche Junge in den trendigen "Dickfies", den viel zu weiten und zu langen Hosen, weiß, wovon er redet: Mobbing, das aus der Arbeitswelt der Erwachsenen bekannte Phänomen, ist auch in den Klassenzimmern und auf dem Pausenhof üblich.
Der Spiegel 34/1997, S. 170
C 9 Wie Opa Feinfingers Hund
Daniel aus einer der neunten Klassen berichtet seelisch
offensichtlich schwer belastet - seinem Schulleiter, er halte es nun nicht mehr aus in
seiner Klasse.
Die Kameraden schikanierten ihn täglich und versuchten ihn zu ärgern. Nun habe ihn der
Klassenlehrer mit Arrest bestraft, obgleich er gar nichts dafür könne. Er habe ja nur
laut gerufen: "Laßt mich in Ruhe!" Der Lehrer habe dies als Störung des
Unterrichts geahndet. Was war geschehen? Seit Monaten gaben die hinter ihm sitzenden
Schüler immer wieder leise und fast nur für ihn hörbare Hundelaute von sich, knurrten
und belften. Nur Daniel und einige wenige Mitschüler wußten, was dies bedeutet. Sie
machten "wie Opa Feinfingers Hund". Eines Tages, so berichtet Daniel, hätten
die anderen "furchtbar gelacht". Dirk habe den anderen erzählt, auf der Kommode
bei seinem Opa stehe ein Hundebild. Auf dem Rand sei das Todesdatum ein getragen: 25. Mai
1978. An diesem Tag ist Daniel geboren worden. Bestimmt sei die Seele von Opa Feinfingers
Hund in Daniel gefahren: Seelenwanderung! Von diesem Tag an hätten sie mit ihrer
"Hundesprache" angefangen. Wenn ihn die anderen ärgern wollten, machten sie
"wie Opa Feinfingers Hund". Neuerdings aber trieben sie es derartig schlimm,
daß er es nicht mehr aushalte. Daniel war am Ende seiner Kräfte.
Er hatte bis dahin bereits häufig wegen Krankheit gefehlt, wie der Klassenlehrer besorgt festgestellt hatte. Manchmal war Daniel aus Angst vor seinen Peinigern morgens nicht in die Schule gegangen. Ein ziemlicher Einbruch seiner ohnehin nicht besonderen Leistungen war die Folge.
Horst Kasper: Mobbing in der Schule. Probleme annehmen, Konflikte lösen. Weinheim und Basel: AOL + Beltz Pädagogik 1998, S. 64 f.
C 10 Mobber-Motive
Warum habe ich mir Daniel als Opfer ausgesucht?
Mobber 1: "Weil er so große Ohren hat und man ihn gut ärgern
kann."
Mobber 2: "Weil fast alle ihn fertigmachen. Ich mache eigentlich nicht so viel."
Wie schikaniere ich ihn?
Mobber 1: "Wir beleidigen ihn mit seinen Ohren und gestalten Witze mit seinem Namen um."
Mobber 2: "Mit seinen Ohren."
Was empfinde ich dabei?
Mobber 1: "Es ist wie eine Kettenreaktion: Einer fängt an und beleidigt ihn, und dann macht der an dere automatisch weiter."
Mobber 2: "Ich empfinde, daß D. das fertig macht. Damit möchte ich aufhören, aber wenn die anderen anfangen, mache ich oft mit."
Tamara Stieb
C 11 Rückzug
David machte den Eindruck eines sozial verstörten Kindes, das seiner Umwelt hilflos und mißtrauisch gegenübersteht. Die wechselseitige Verständnislosigkeit, die seine Mutter bei ihm und seinen Klassenkameraden registrierte, hatte sich bis zu seinem Besuch in der Beratungsstelle offenbar auf seine Umgebung, seinen älteren Bruder und wohl auch seine Eltern und Lehrer generalisiert, von denen er in seinem Urvertrauen enttäuscht sein mag. Aus der emotional äußerst belastenden Situation hat David für sich zunächst den Ausweg gefunden, sich in seine Lesewelt zurückzuziehen, wann immer es die Umstände erlauben. Zu dieser Welt hat niemand Zu tritt.
Wilhelm Wieczerkowski: Bullying, Mobbing, Viktimisierung. In: Ene mene muh - und raus bist Du! Mobbing und Schule. Eine Dokumentation mit Fachbeiträgen und Beispielen der Initiative zur Förderung hochbegabter Kinder e. V., Stuttgart lss8
C 12 Anti-Mobbing-Konvention
Die Anti-Mobbing-Konvention der
................-Schule
10 Artikel für eine Schule ohne Mobbing und Schikane
1. Wir achten in Wort und Tat die Würde unserer Mitmenschen.
2. Wir leisten jedem Mitmenschen, der darum bittet, Beistand gegen Schikanen und stellen uns demonstrativ an seine Seite, auch wenn wir nicht in allem seine Meinung teilen. Wir lassen Angefeindete nicht allein!
3. Wir wollen den Anfängen von Psychoterror in unserer Schule wehren, von wem er auch aus geht.
4. Wir wollen uns in Toleranz und Zivilcourage üben.
5. Wir begegnen fremden Fehlern ebenso nach sichtig wie unseren eigenen.
6. Wir wollen uns nicht an der Entstehung und Verbreitung von Gerüchten beteiligen. Unser Grundsatz sei: mit den Menschen, nicht über sie reden!
7. Wir erklären ausdrücklich, daß wir uns an die Gesetze und die sonstigen Bestimmungen zum Schutz von Schwachen halten und verpflichten uns, auf deren Einhaltung in unserer Schule zu bestehen.
8. Wir erklären, daß wir niemanden schikanieren. Niemand soll andere über- oder unterfordern. Niemand soll andere bewußt Situationen aus setzen, denen sie nicht gewachsen sind.
9. Wir wollen uns stets Mühe geben, mit jeder mann in unserer
Schule höflich und offen zusammenzuarbeiten und dabei Problemen nicht aus dem Weg zu
gehen.
10. Wir verpflichten uns, mit anderen gemeinsam gegen Mobbing und Psychoterror vorzugehen,
wo wir dies beobachten. Wir handeln gemeinsam, statt einsam.
für die Schüler für die Eltern für die Lehrer
Horst Kasper: Mobbing in der Schule. Probleme annehmen, Konflikte lösen. Weinheim und Basel: AOL u. Beltz Pädago gik 1998, S. 185
C 13 Schlichtungsformular
Schlichtungsformular
Konfliktpartei A: Daniel Klasse: 6b
Konfliktpartei B: Sebastian Klasse: 6b
Worum geht es ?
Prügelei an der Tischtennisplatte, Tischtennisschläger gebrochen
Termin: Mittwoch, 9.6. 5. Stunde
Ort: Schlichtungsraum
Schlichter: Tobias
Klasse: 10a
Lösung:
Konflikt beigelegt ?
Karin Jeffreys, Ute Noack: Streiten - Vermitteln - Lösen. Lichtenau. AOL-Verlag, z. Auflage, 1998, S. 116