vom 11.06.2001 (Herr Faruk Ceran)
Es ist sehr wichtig, dass sich die LpB dieser Thematik annimmt und
sie
ausführlich behandelt. Ich finde die inhaltliche Aufteilung der
Bausteine nach "Ihre Heimat",
"Migration" und "Integration" sehr sinnvoll. Einen
weiteren inhaltlichen Block hätte ich jedoch noch
hinzugefügt, auf den ich zum Schluß noch kurz
eingehen werde. Die Überschrift können Sie sich dazu selber ausdenken.
Die ökologische, ökonomische und ausreichend historische Darstellung
der Türkei im Baustein A ist hinreichend objektiv
und in ausreichendem Maße vorgenommen worden.
Eine detailliertere Beschreibung würde dieses Thema nicht vertragen
und abgesehen davon hat man ja auch an entsprechender Stelle auf vertiefende
Quellen hingewiesen. Daher denke ich, das dieser Teil der Ausgabe kurz
und bündig ihren Zweck voll erfüllt. Auch
inhaltlich gesehen gibt der Autor dieses
Abschnittes, bis auf die Bemerkung "Nach Kriegen und Massakern
gegen die Armenier..." kaum Anlass zur
Kritik. Und wenn so eine Bemerkung fallen muß, dann
würde ich mir, um der historischen Wahrheit zu entsprechen, eine
neutrale Darstellung der Fakten hinsichtlich der
Massaker und Ungerechtigkeiten gegenüber dem
Türkischen Volk zur Zeit des Ersten Weltkrieges wünschen. Aber insgesamt
hat der Autor die wesentlichen Merkmale der oben genannten Aspekte sowie des politischen System mit ihrem historischen Fundament
in seinen wesentlichen Zügen aufgezeigt.
Ähnliches gilt auch für den Baustein B. Was inhaltlich geboten wird,
ist weitgehend richtig und vernünftig jedoch
unvollständig. Die Notwendigkeit der "Gastarbeiter"
in den 60´er Jahren ins Land zu holen wird zwar zum Ausdruck gebracht
aber die Vorteile und dabei insbesondere die anhaltenden Vorteile aus wirtschaftlicher, populationsspezifischer und damit
rentenpolitischer Hinsicht und insbesondere ihre
Bedeutung für die Zukunft wird nicht ausreichend thematisiert.
Gerade das aber würde den "Türken" für seine deutschen MitbürgerInnen, die ja immer noch große Akzeptanz- und
Tolereranzprobleme haben, nicht nur zum
akzeptbedürftigen Gesellschaftssubjekt sondern zum unverzichtbaren
Wirtschaftssubjekt machen. Ich bin persönlich davon
überzeugt, dass erst persönliche wirtschaftliche
Einbußen den Menschen bewegen, seine Einstlellungen zu ändern.
Und wird erst einmal das Bewußtsein geweckt, dass der Ausländer - und insbesondere der "Türke" - summa summarum
nicht dem Staat auf der Tasche liegt, sondern
einen nicht unbeachtlichen Teil zum Bruttosozialprodukt der zweiten Heimat unserer Eltern und schließlich UNSERER ersten
Heimat beiträgt, wird sich die
Selbstverständlichkeit für die potenziellen zukunftssicherenden "Türken" mit ihren geburtenstärkeren
Jahrgängen und kinderfreundlicheren Einstellungen
stärker durchsetzen.
Auch bemängele ich die Vertiefung der Aussage Max Frischs´"Man
hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen
Menschen". Denn darin liegt auch eine große Ursache
für mangelnde Integrationsbereitschaft der "Ausländer". In
der Soziologie, den Wirtschaftswissenschaften und
allgemein den Sozialwissenschaften kennen wir
Motivations- und Bedürfnistheorien. Sie verdeutlichen uns die
Bedürfnisse der Menschen, die, sofern sie nicht
befriedigt werden, zu einer mangelnden Motivation
und damit einer mangelnden Leistungsbereitschaft führen. Gehen wir von der allg. bekannten Bedürfnispyramide Maslows aus,
erkennen wir, dass die primären und
Sicherheitsbedürfnisse dieser Menschen zwar weitgehend befriedigt sind, die sozialen Bedürfnisse jedoch wie
Aufmerksamkeit, Anerkennung und Selbstvertrauen
aufgrund mangelnder Akzeptanz noch sehr viel zu wünschen übrig lassen.
Ganz zu schweigen von der höchsten Stufe der Bedürfnisbefriedigung mit dem Ziel der Persönlichkeitsentwicklung. Auch die
Fakten einzelner Fälle ausländischer Herkunft,
welche diese Bedürfnisse befriedigen konnten, ändert nichts
an der Tatsache der mangelnden Bedürfnisbefriedigung der Mehrheit der ausländischen Mitbürger. Denn diese einigen wenigen, zu
denen auch ich mich zählen darf, sind nicht
repräsentativ für die Gesamtheit der ausländischen und erst
recht nicht der türkischen Bevölkerung. Akzeptiert man nun die
Existenz dieser Bedürfnisse - und man muss sie
akzeptieren, wenn man sinnvolle Integration sowohl
auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Eben in Schulen sowie
in allen anderen sozialen Lebensbereichen machen will - ist es im nächsten Schritt erforderlich, die gesamte Bevölkerung
dafür zu sensibilisieren.
D.h. aktive Pro-Ausländerpolitik betreiben, damit zum einen sich die
Ausländer bestätigt und akzeptiert fühlen und
zum anderen den Vorurteilen der Ausländerunfreundlichen
der Nährboden entzogen wird.
Diese Aspekte sehe ich gerade in diesem Baustein
aber auch im Baustein C kaum behandelt. Vielmehr
handelt es sich um Glaubensbekenntnisse ohne Herz und ernsthaftem
Willen. Diesen Äußerungen fehlt der emotionale Charakter, weil es in erster Linie den Touch von einer kühlen
Bestandsaufnahme hat. Quasi eine Funktion, die den
Istwert ermittelt und die Diskrepanz zum Sollwert aufzeigt.
Diese Weisheiten sind auch nicht neu, sie sind in aller
Munde. Ihnen fehlt die Originalität und der wahre
Wille. Ich erkenne auch keine ernsthafte Selbstkritik.
Und abgesehen davon ist Toleranz nicht mehr in. Denn kein Mensch will nach 30-40 Jahren immer noch toleriert (tolerare:
ertragen, erdulden) werden. Wenn überhaupt, dann
wollen die Menschen akzeptiert werden, und zwar so wie sie
sind. Haben diese Menschen verfassungswidrige und -bedrohliche Ambitionen,
dann müssen alle Gesellschaftsmitglieder, und damit sind auch alle Ausländer gemeint,
gegen diese Bestrebungen mobilisiert
werden. Laut Statistiken bezüglich
verfassungsfeindlicher Straftaten und Aktivitäten politischer und religiöser Natur von ausländischer Seite handelt es
sich aber um Minderheiten, die wir nicht zum
Spiegelbild aller Ausländer machen dürfen, genauso wenig dürfen die ausländischen Mitbürger auch nicht alle Deutsche
der Ausländerfeindlichkeit bezichtigen, nur weil
einige desorientierte und perspektivlose "Glatzen" z.B.
einen Brandanschlag auf ausländische Unterkünfte verüben. Im
Baustein C wird zwar der Versuch unternommen, den Islam im Unterricht zu thematisieren, aber auch hier erkenne ich nicht die
Selbstverständlichkeit für diese
Glaubensrichtung. Allein mit der Abhandlung des Themas ist es nicht getan. Denn die Fragen nach der immer noch nicht
gewährleisteten Gleichstellung des Islam in einem
"hoch-demokratischen" Land wie der Bundesrepublik wird in
den Köpfen der zu integrierenden SchüleriInnen bleiben. Auch dieses
Defizit muss zugestanden und thematisiert werden,
damit wieder der ernste Wille deutlich wird. Die
Angst nicht nur vor dem Identitäsverlust der Ausländer aber auch
die Angst vor der Überfremdung aus deutscher Sicht müssen als integrationshemmende
Faktoren aufgegriffen werden. Denn das sind auch die Uraschen für die ungleiche und ungerechte Behandlung vieler SchülerInnen
in den Schulen, ArbeiterInnen auf dem
Arbeitsplatz, Wohnungssuchenden auf dem Wohnungsamt, BewerberInnen
bei der Ausbildungsplatzsuche und und, zu denen ich aus eigener Erfahrung
mindestens jeweils einen dutzend Beispiele aufzählen könnte. Sofern diese Tatsachen unter den Teppich gekehrt werden, werden
die Integrationsbemühungen nicht in der
gewünschten Weise durchgreifen. Diese Gedanken
würde ich einem weiteren Baustein widmen, um auch wirklich eine
ganzheitliche und neutrale Sichtweise dieser Thematik zu formulieren.
Denn nur wer Kritik ertragen kann, ist auch in der
Lage aus sich selbst herauszuwachsen und einen
weiteren Schritt nach vorne zu machen. Das alles
in dieser einen Ausgabe zu fordern wäre vielleicht zu viel aber es wäre zumindest mehr als gerechtfertigt.
Deshalb kann ich als Fazit sagen, dass dieses Zeitschriftenheft zwar
sehr gute Ansätze hat, aber es ist leider in
vieler Hinsicht noch unvollständig.
Faruk Ceran
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