Zeitschrift 

Türken bei uns

Baustein C 

Integration 
 

Heft 3/2000 , Hrsg.: LpB

 

Inhaltsverzeichnis


Die Rolle der Schule

Kinder türkischer Immigranten befinden sich fast an allen unseren Schulen (C 3). Ein Schulleiter, der kürzlich nach seinen türkischen Schülern befragt wurde, antwortete kurz und bündig, dass sie sich abgesehen von ihren Namen von ihren deutschen Mitschülern in nichts unterscheiden würden. Kleine Zahlen ausländischer Schüler sind in unseren Schulen offensichtlich leicht integrierbar. Oft weisen diese ausländischen Schüler sogar Spitzenleistungen auf. Immerhin erreichen bereits heute fast zehn Prozent der türkischen Schüler die deutsche Fachhochschul- oder Hochschulreife. Viele von ihnen werden anschließend ein Studium an einer deutschen Hochschule aufnehmen. Hier zeichnet sich bereits die Entstehung einer deutsch-türkischen Elite ab. Verschiedene Einrichtungen in Stuttgart, wie die Robert-Bosch-Stiftung und die Markel-Stiftung, versuchen begabten ausländischen Schülern zu helfen, eine höhere Schullaufbahn einzuschlagen.
Wichtigste Voraussetzung für eine reibungslose Integration in Schule und Gesellschaft ist zweifellos die Beherrschung der deutschen Sprache. Durch viele Fördermaßnahmen, beispielsweise Vorbereitungsklassen, versucht man die vorhandenen Sprachdefizite bei den türkischen Kindern abzubauen. Die Sprachförderung beginnt im Kindergartenalter. Nach einem zuerst in Denkendorf in den siebziger Jahren entwickelten Modell werden ausländische Kinder von Sprachhelferinnen in kleinen Gruppen unterrichtet. Dabei legt man Wert darauf, dass die Kinder nicht nur in die deutsche Sprache, sondern auch in die deutschen  Lebensverhältnisse eingeführt werden. Je höher der Ausländeranteil, desto schwieriger werden die Integrationsbemühungen (C 4). Deshalb versuchen türkische Eltern in Stuttgart auch, ihre Kinder in einem kirchlichen Kindergarten unterzubringen, weil dort der Ausländeranteil etwas geringer ist. 
Die Robert-Bosch-Stiftung unterstützt Fördervereine an Hauptschulen, die sich um die Integration ausländischer Schüler bemühen, etwa durch Hilfe bei Hausaufgaben, Einrichtung von Schülertreffs und Arbeitsangeboten, damit Schüler aus sozial schwachen Familien sich Geld dazuverdienen können. 
Es war ein Irrtum anzunehmen, dass die Kinder der dritten und vierten Generation der Einwanderer die deutsche Sprache besser beherrschen würden als ihre Eltern und Großeltern. Das mag am Einfluss der türkischen Medien, an der Ghettosituation oder daran liegen, dass Jahr für Jahr über 60 000 junge türkische Männer ihre Bräute aus der Türkei holen, um hier ihre Familien zu gründen (C 5, C 6). Deshalb sind Sprachkurse an unseren Schulen, in denen auch die türkischen Mütter einbezogen werden, eine besonders wirkungsvolle Fördermaßnahme. Solche Deutschkurse für türkische Mütter finden etwa an der Pragschule in Stuttgart und an der Schiller-Schule in Esslingen statt (C 7). Das Land Baden-Württemberg plant nach holländischem Vorbild Integrationskurse für Ausländer einzuführen, um deren Sprach- und Orientierungslosigkeit zu überwinden. Eine Umfrage unter Türken in Berlin führte zu dem Ergebnis, dass die Hälfte der Befragten zu geringe Deutschkenntnisse als wichtigste Ursache der hohen Arbeitslosigkeit unter den Türken in Berlin ansah. An der Jungbuschschule in Mannheim liegt der Ausländeranteil über 90 Prozent. Trotzdem wird dort erfolgreiche pädagogische Arbeit geleistet und die Schule liefert keine negativen Schlagzeilen.
 
Was türkische Schüler können

Türkische Schülerinnen und Schüler können zum Unterricht vieles beitragen, was ihr Selbstwertgefühl stärkt und ihnen in der Klasse eine wichtige Rolle zuweist.

Einige Beispiele:
• Fotos und andere Bilder aus der Heimat ihrer Eltern zeigen
• Von Lebensläufen ihrer Verwandten berichten
• Tagesabläufe in der Türkei und in Deutschland vergleichen
• Vom Leben auf dem Bauernhof oder im Bazar berichten
• Den Schulalltag oder das Schulsystem in der Türkei schildern
• Bücher türkischer Autoren/Autorinnen vorstellen
• Über Feste des Islam informieren
• Einen Besuch in der Moschee vorbereiten

K. Schröer

Es wäre umgekehrt sehr wünschenswert, wenn auch deutsche Schüler die türkische Sprache erlernen würden. So wird zum Beispiel Türkisch als Arbeitsgemeinschaft an der Neckar-Realschule in Stuttgart angeboten. Am Eschbach-Gymnasium Stuttgart-Freiberg wird Türkisch als weitere Fremdsprache auf der Oberstufe bis zum Abitur unterrichtet. Die Anfänge des Türkisch-Unterrichts sind allerdings noch bescheiden.
Beim Schülerwettbewerb des Landtags von Baden-Württemberg wurden seit 1965 immer wieder Themen aufgegriffen, welche die Beziehung zwischen Deutschen und Immigranten zur Diskussion stellten. Diese Themen fanden bei den Schülern großen Zuspruch. Auch zahlreiche Preise entfielen auf entsprechende Arbeiten. Besonders die Arbeiten türkischer Schüler zeigen, wie das Leben zwischen den Kulturen empfunden wird.

Islam-Unterricht als Schulfach?

Ein wichtiger Beitrag für die Integration könnte die Einführung eines Islamunterrichts an den Schulen sein. Die türkischen Schüler würden sich damit stärker als Bestandteil unserer Gesellschaft fühlen. Und schließlich haben alle Kinder ein Recht auf religiöse Begleitung. Islamunterricht als reguläres Schulfach wäre zudem eine gesellschaftlich akzeptierte Alternative zu den Koranschulen. Dem Kultusministerium Baden-Württemberg liegen dazu Anträge von fünf islamischen Religionsgemeinschaften vor: Institut für islamische Erziehung, Zentralrat der Muslime, Religionsgemeinschaft des Islam, Rat für freie Glaubensausübung und Föderation der Alevitengemeinde. Allerdings gibt es auch Eingaben muslimischer Eltern gegen einen solchen Unterricht.
Der Islam ist in der Bundesrepublik schon die drittgrößte Religionsgemeinschaft. Allein in Stuttgart leben mehr als 30 000 Muslime. Jeder zehnte Schüler bekennt sich zum Islam; zwei Drittel davon sind Türken: Schwierig ist, dass ein von allen Muslimen autorisierter Ansprechpartner fehlt (s. Baustein B). Der Islam ist keine Kirche in unserem Sinne und kennt keine Hierarchie. Auch wären geeignete, deutsch sprechende Islam-Lehrer auszubilden, und der Islamunterricht müsste sich an den Werten des Grundgesetzes orientieren. Fraglich ist zudem, ob ein solcher deutscher Islamunterricht von der Mehrheit der hier lebenden Muslime angenommen würde. Die fundamentalistische Islamische Föderation - sie wird vom Verfassungsschutz beobachtet und vertritt nur eine kleine Minderheit - hat sich jetzt in Berlin das Recht erstritten, an öffentlichen Schulen Religionsunterricht erteilen zu dürfen. Allerdings ist die endgültige Entscheidung noch nicht gefallen. Zudem ist das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht direkt auf andere Länder übertragbar. Im Rahmen eines Modellversuchs bietet das Land Nordrhein-Westfalen zusätzlich zum muttersprachlichen Unterricht an 37 Schulen "Islamische Unterweisung" an. 

Besuch in einer Moschee

Für deutsche Schüler ist es wichtig, den Islam als Religion ihrer türkischen Mitschüler näher kennen zu lernen (B 21 bis B 23, C 8 bis C 11). Allerdings ist bei diesem Thema große Zurückhaltung geboten, um nicht bereits vorhandene Vorurteile zu verstärken. Es lohnt sich, hier mit Religionslehre zusammenzuarbeiten. Ferner empfiehlt sich, Wissen und Kompetenz der türkischen Schüler mit einzubeziehen. So könnten die türkischen Schüler etwa den Besuch einer Moschee mit vorbereiten und dabei als Dolmetscher mitwirken. 
Die deutschen Schüler lernen, dass sich die Muslime in der Moschee nicht nur zum Beten treffen, sondern dass ihnen dort soziale und kulturelle Dienste angeboten werden. Als Beispiel dafür kann die von dem als gemäßigt geltenden Türkisch-Islamischen Kulturverein gebaute Moschee in Sindelfingen angesehen werden: Im Erdgeschoss befinden sich ein Supermarkt, kleinere Geschäfte sowie Teestube und Jugendraum. Den zweiten und dritten Stock nimmt die Moschee mit einer vier Meter hohen Kuppel ein. Deutlich erkennbar ist die Moschee auch durch das 25 Meter hohe Minarett. Doch ruft von dort kein Muezzin die Gläubigen zum Gebet. 
Für unsere Schüler empfiehlt sich besonders der Besuch einer der größten Moscheen auf deutschem Boden, die in Mannheim fast symbolisch zwischen der katholischen Liebfrauenkirche und der jüdischen Synagoge steht (C 11). Ihr Trägerverein ist der Islamische Bund. Von Anfang an war sie mit dem deutsch-türkischen Projekt "Begegnung mit dem Islam" verknüpft. In ihren Seminarräumen finden regelmäßig christlich-moslemische Gesprächskreise statt. 
Vielen Türken gilt die Moschee als identitätsstiftender Heimatersatz. Die Religion gibt türkischen Jugendlichen Halt in der Fremde und wirkt sich stabilisierend aus. Wenn türkische Schülerinnen mit Kopftuch in der Schule erscheinen, kann auch darüber mit der gebotenen Behutsamkeit gesprochen werden (vgl. dazu P&U 1/1999). Bei einer Behandlung des Islam darf auch die Information über die großen türkischen Feste nicht fehlen (B 22). Für eine ausführlichere Erörterung des Islam eignet sich auch die von der Landeszentrale für politische Bildung zusammengestellte Wanderausstellung "Islam - Politik, Kultur, Religion.

Schulpartnerschaften

Eine geradezu ideale Form des Kennenlernens und der Begegnung ist die Begründung einer deutsch-türkischen Schulpartnerschaft. 22 Schulen in unserem Land pflegen bereits eine solche Partnerschaft (s. Kasten S. 18). Man lernt Land und Leute kennen und das Andersartige schätzen. Unvergessen bleibt für Schüler bei ihren Besuchen in der Türkei die überwältigende Gastfreundschaft dort (C 13, C 14). Außerdem werden die Schüler mit dem außerordentlich hohen Stellenwert der Familie vertraut. In der Skala der Werte steht sie ganz oben, wie eine Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung unter Jugendlichen in der Türkei ergeben hat. Ein deutsch-türkisches Jugendwerk könnte über die noch bescheidenen Anfangserfolge deutsch-türkischer Schülerbegegnungen hinausführen. Für die Vorbereitung auf das Leben in einer zunehmend globalisierten Wirtschaft liefern gerade das interkulturelle Lernen und internationale Begegnungen und Schulbesuche einen wichtigen Beitrag. Die Schüler können nicht früh genug lernen, in einer durch die Globalisierung herbeigeführten Verschränkung verschiedener Kulturkreise zu leben. Offenheit und Toleranz werden dabei die obersten Lernziele sein.

Erleichterte Einbürgerung

Türkische Immigranten bemängeln seit Jahren, dass ihnen eine aktive und verantwortungsvolle Teilnahme am politischen Prozess in unserem Lande verwehrt sei. Voraussetzung dafür ist der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Nach dem deutschen Staatsbürgerrecht ist für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit die Abstammung von deutschen Eltern, das ius sanguinis, entscheidend. 1993 erfolgte eine Neuregelung des Ausländerrechts. Demnach konnten junge Ausländer, wenn sie acht Jahre lang rechtmäßig im Bundesgebiet gelebt und dort sechs Jahre lang die Schule besucht haben, ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben und die deutsche erwerben. Die Initiative der neuen Bundesregierung von 1998 zur Einführung einer doppelten Staatsangehörigkeit führte zu einer breiten und teilweise sehr heißen politischen Diskussion (C 15, C 16). Ziel des Unterrichts könnte sein, das Pro und Kontra der doppelten Staatsangehörigkeit klar herauszuarbeiten: einerseits Globalisierung und Internationalisierung, andererseits Nationalstaat, Loyalitätsverständnis, Gefahr der Kumulierung von Rechten oder Pflichten.

Das vom Gesetzgeber verabschiedete neue Staatsbürgerrecht (C 17) trat am 1. Januar 2000 in Kraft und ermöglicht eine erleichterte Einbürgerung:

  1. Künftig bekommen in Deutschland geborene Kinder von Ausländern mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. Bis zum Alter von 23 Jahren müssen sie sich aber für einen Pass entscheiden (C 18).
  2. Erwachsene Ausländer erhalten jetzt bereits nach acht (vorher nach 15) Jahren einen Anspruch auf Einbürgerung unter gewissen Voraussetzungen: ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache, Loyalitätserklärung zum Grundgesetz, Straflosigkeit und Unterhaltsfähigkeit.
  3. Grundsätzlich gilt wie bisher: Die doppelte Staatsbürgerschaft soll nur in Ausnahmefällen gewährt werden.

Schon heute leben in Deutschland mehr als 350 000 deutsche Staatsbürger türkischer Herkunft. Aufschlussreich ist es, die Entwicklung der Einbürgerungen in den letzten Jahren zu verfolgen (C 19). Ein Beispiel: Seit 1970 lebt Mevlüde Genc in Deutschland, beim Brandanschlag in Solingen verlor sie fünf Angehörige; sie hat für sich und ihre Familie die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt und auch erhalten. Fast vier Prozent der wahlberechtigten Berliner waren 1998 nicht deutscher Herkunft; 90 Prozent von ihnen stammen aus der Türkei. An der Bundestagswahl 1997 beteiligten sich bereits 160 000 eingebürgerte Türken. Auch die doppelte Staatsangehörigkeit war bisher nicht gerade selten. In Deutschland lebten schon 1998 rund zwei Millionen Doppelstaatler, die überwiegend aus binationalen Ehen stammen. Schon 1995 besaß fast jeder zehnte Türke in Deutschland zwei Pässe.

Integration und Aufstieg sind möglich

Türkische Immigranten sind heute nicht nur bei der Müllabfuhr und am Fließband tätig; viele von ihnen haben den Aufstieg und die Integration geschafft - als Beamte, Angestellte, Anwälte, Architekten, Ärzte und Unternehmer (C 20 bis C 23). Die Zahl türkischer Unternehmer steigt in Deutschland von Jahr zu Jahr. Dabei machen sich junge Türken statt mit einem Döner-Stand oder einem Gemüseladen zunehmend in Branchen wie EDV und Unternehmensberatung selbstständig. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der türkischen Unternehmer von 28 000 auf weit mehr als 50 000 angewachsen, fast 9000 davon allein in Baden-Württemberg. In unserem Bundesland haben türkische Unternehmen wesentlich mehr Erfolg als in anderen Bundesländern, so das Ergebnis einer Studie des Zentrums für Türkeistudien.
Als eines unter vielen Beispielen kann der Erfolg von Vural Öger als Reiseunternehmer genannt werden (C 22). Die Türken bilden heute die größte Gruppe unter den ausländischen Selbstständigen (C 24). Türkische Unternehmen beschäftigen in Deutschland mehr als 265 000 Arbeitnehmer, ein Fünftel davon sind Deutsche. Allein im Großraum Stuttgart befinden sich über 2000 türkische Unternehmen. Siebzehn türkische Unternehmer sind 1999 von der IHK Stuttgart zu Ausbildern ernannt worden.
Als Beispiel für den Aufstieg eines Türken in die Politik und in den Bundestag ist Cem Özdemir bekannt, der anatolische Schwabe (C 25). Gerade seine Biographie kann den Schülern zeigen, wie Aufstieg und Integration möglich sind. Er selbst sagt: "Diese Gesellschaft ist schwer beweglich, aber sie ist beweglich. Und sie ermöglicht den Einstieg auch für Quereinsteiger wie mich, die von außen kommen."
Es lassen sich leicht Beispiele aus weiteren Berufsgruppen finden. Dass die deutsche Gesellschaft auch der türkischen Frau einen Aufstieg ermöglicht, zeigt der Bericht der Bankkauffrau Hülja Kalan (C 21). Vielen Schülern dürften deutsch-türkische Schauspieler bekannt sein, etwa der in München aufgewachsene Topstar Erol Sander (als Krimiheld Sinan Toprak). Schließlich darf an erfolgreiche deutsch-türkische Autoren wie Selim Özdogan ("Ein gutes Leben ist die beste Rache") erinnert werden. Bei dem von dem Türken Sinasi Dikmen in Frankfurt/M geleiteten Kabarett steht die Integration der Türken in Deutschland ganz im Mittelpunkt. Bekannt sind die Bücher des deutsch-türkischen Schriftstellers Feridun Zaimoglu (Kanaksprak, Abschaum, Koppstoff), der den Begriff "Kanake" als Bekenntnis zur Identität etablierte.
An vielen Schulen haben sich türkische Schüler schon durch besondere Leistungen hervorgetan. Über unsere Landesgrenzen hinaus bekannt wurde Meryem Akdenizli, Preisträgerin von "Jugend musiziert".

Deutsch-türkischer Dialog

Um Diskriminierung, Feindschaft und Vorurteilen entgegenzuwirken, ist ein kontinuierlicher Dialog zwischen Türken und Deutschen auf allen gesellschaftlichen Ebenen unverzichtbar. An vielen Kindergärten und Schulen sind türkische Eltern aktiv  und in den verschiedenen Gremien der Schulen vertreten. Im Interesse der türkischen Schüler hat sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen ihren Eltern sowie Lehrern und Schulleitung entwickelt. Türkische Schüler können sich zu den großen Festen des Islam, dem Fastenbrechenfest und dem Opferfest, vom Unterricht beurlauben lassen. Sich näher zu kommen, sich kennen zu lernen, das Andersartige und Fremde akzeptieren zu lernen bedeutet allmählich die Ablösung des Nebeneinander durch ein Miteinander. 
Die türkische Theatergruppe Tüyo in Esslingen greift neben deutschen auch die kulturellen Traditionen Anatoliens auf und bringt Stücke in deutscher und türkischer Sprache zur Aufführung. Eine Internetseite gibt einen Einblick in das vielfältige Vereinsleben der türkischen Bürger in Esslingen und bietet zusätzliche Informationen über Grundelemente des Islam an: 
(http://www.hfs.esslingen.de/~ottmann/muezzin/projekt.htm). 

Unter den deutsch-türkischen Gruppen ist die bekannte Gruppe Cartel von 1995 zu nennen; sie verkündet: "Du bist Türke ... in Deutschland ... Wir ... zeigen, dass das Land auch unser Land ist". Das Projekt "Merhaba" der Thomas-Morus-Akademie Bensberg wendet sich an türkische Oberstufenschülerinnen und Studentinnen, um ihnen ein Forum für ihre Diskussionen über Lebens- und Berufsplanung und ihre Rolle in der deutschen und türkischen Gesellschaft zu geben. 
Die politischen Parteien haben die türkischen Immigranten schon länger entdeckt. So existieren eine türkisch-deutsche Union in Berlin, eine liberal-türkische Vereinigung, eine deutsch-türkische Interessengemeinschaft in Hamburg und ein deutsch- türkisches Forum in Nordrhein-Westfalen. Die Gesellschaft für Christlich-Islamische Begegnung und Zusammenarbeit in Stuttgart bietet ein Podium für Gespräche zwischen den  großen Religionen. In Filderstadt besteht eine Christlich-Islamische Gesellschaft, die sich zum Ziel setzt, die Integration junger Moslems in die deutsche Gesellschaft zu fördern. 
Eine Reihe von Stiftungen und Institutionen organisiert den Dialog zwischen Deutschen und Türken und bemüht sich um die Schaffung tragfähiger Grundlagen. An erster Stelle ist hier das von Faruk S¸en 1985 gegründete Zentrum für Türkische Studien in Essen zu nennen, das einerseits die gesellschaftliche Entwicklung in der Türkei verfolgt und sich andererseits mit der Migration in die Bundesrepublik befasst. In Hamburg wurde 1998 die Deutsch-türkische Stiftung gegründet, die für die rechtliche und soziale Gleichberechtigung der Türken eintritt. 
Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg hat 1999 für Pädagogen, die türkische Schüler unterrichten, eine Studien- und Begegnungsreise in die Türkei durchgeführt. Ziel der Reise war es, den Teilnehmern einen nachhaltigen Eindruck türkischer Lebensverhältnisse und Gesprächskontakte zu vermitteln. Auf dem Programm standen Besuche in Schulen und Betrieben, daneben Gespräche mit Politikern, Journalisten, Vertretern von Ministerien und mit dem türkischen Verein für Menschenrechte in Ankara. Solche Reisen, die ein Kennenlernen aus erster Hand ermöglichen, werden auch künftig einen wichtigen Beitrag für das gegenseitige Verstehen leisten. Dazu tragen ferner die von der Landeszentrale für politische Bildung zu diesem Themenkreis angebotenen Seminare bei.
Das jetzt in Stuttgart gegründete, von der Robert-Bosch - Stiftung unterstützte Deutsch-Türkische Forum hat sich zum Ziel gesetzt, die Verständigung zwischen Türken und Deutschen zu fördern und dabei auch kontroverse Themen offen zu diskutieren. Fast drei Viertel der türkischen Vereine in Stadt und Region Stuttgart wollen mitarbeiten. 
Die Aufnahme der Türkei in Helsinki als Beitrittskandidat der Europäischen Union hatte für die hier lebenden Türken eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Sie fühlen sich jetzt dem größeren Europa zugehörig. Die Integration in die deutsche Gesellschaft dürfte dadurch gefördert werden, auch wenn bis zum endgültigen Beitritt der Türkei in die Europäische Union noch einige Jahre vergehen werden. 

Heimat und doch nicht Heimat

Die Beschreibungen vom Aufstieg und Erfolg türkischer Immigranten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Integration der Türken in unsere Gesellschaft noch längst nicht als gelöst betrachtet werden darf. So ist etwa die Arbeitslosigkeit der türkischen Bevölkerung hier doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Von den 67 000 türkischen Schülern besucht nur jeder dreiundzwanzigste ein Gymnasium, dagegen jeder fünfzehnte eine Sonderschule. Dreimal so hoch ist die Abbrecherquote von Ausländern in der Hauptschule. Die Ghettoisierung und auch Isolierung der Türken in einzelnen Stadtteilen ist nicht zu übersehen. Neun Prozent der Ausländer beziehen Sozialhilfe, bei den Deutschen liegt der Anteil bei drei Prozent.
Der Konflikt zwischen den alten dörflichen Traditionen und den Erfordernissen einer modernen pluralistischen Gesellschaft bricht immer wieder in den hier lebenden türkischen Familien auf (C 26). Das Nirgends - recht-zu-Hause - Sein hat ein türkischer Schüler schon 1989 in seinem Gedicht "Heimatlos" zum Ausdruck gebracht (C 28)
In der Umgangssprache heißt es lapidar: "Weisch, zu Haus, net richtig zu Haus und in Türkei Ausländer". Selbst wenn der türkische Immigrant gutes Deutsch spricht, leugnet er nicht, dass er türkisch träumt. Die Verwurzelung in der türkischen Familie bleibt bestehen. Die Verbundenheit mit der alten Heimat dokumentiert sich auch in der Tatsache, dass über 90 Prozent der in Deutschland verstorbenen Türken zur letzten Ruhe in die alte Heimat überführt werden. 
Kulturell bleiben die Türken über Fernsehen und Zeitungen mit ihrer alten Heimat verbunden. Die türkische Zeitungslandschaft ist mit nach Deutschland gewandert (C 29). Die bekanntesten Zeitungen sind Hürriyet, Milliyet und Sabah. Hürriyet ist die auflagenstärkste ausländische Zeitung in Europa. Die zwei oder drei lokalen Seiten für Deutschland werden zwar in Deutschland recherchiert, aber in Istanbul redigiert. 
In Berlin wurde kürzlich die Zeitung "Etap" gegründet, die in Deutsch herauskommt und sich an ein junges Publikum unter den Deutsch-Türken wendet. In Stuttgart erschien jetzt die erste zweisprachige deutsch-türkische Wochenzeitung "Mosaik", die sich an die 115 000 in der Region lebenden türkischen Immigranten wendet. Die Türkei kommt in "Mosaik" nur noch auf einer Seite vor. Selbst Hürriyet prüft jetzt Möglichkeiten einer deutschsprachigen Tageszeitung für Türken in Deutschland, um die hier lebende dritte und vierte Generation der türkischen Immigranten besser zu erreichen. 
Sind also Deutschlands Türken Türken geblieben? Wo ist ihre Heimat? Ömer Özkan, Lehrer im Kommunikationszentrum für arbeitslose Türken in Stuttgart, unterscheidet drei Typen der Integration der türkischen "Deutschländer":

  1. Solche, die auch in Deutschland nur aufrecht erhalten wollen, was sie im Rucksack aus der Türkei eingeschleppt haben.
  2. Die Gruppe derer, die sich unverzüglich einen neuen Rucksack gesucht hat.
  3. Und schließlich die Gruppe, die sich aus dem Alten und dem Neuen eine neue Identität bastelt.
Die Einwanderung einer größeren Volksgruppe in ein fremdes Land hat sich noch nie in der Geschichte ohne Probleme vollzogen. Auch die große Zahl deutscher und europäischer Einwanderer in die Vereinigten Staaten von Amerika im 19. Jahrhundert hat dort anfangs fremdenfeindliche Gewalt ausgelöst. Ihr Anteil an der Gruppe der Empfänger öffentlicher Leistungen und an den Gefängnisinsassen war damals überproportional hoch. Die Ghettobildung ermöglichte im Übrigen wie heute eine graduelle Anpassung an das Gastland.
Die Integration der Immigranten in unsere Gesellschaft wird deshalb ein langer Prozess sein, der nicht von heute auf morgen bewerkstelligt werden kann. Die Risiken bleiben; aber die Chancen sind größer. Die türkische Minderheit wächst allmählich in die deutsche Gesellschaft hinein. Deutschland ist heute ohne den türkischen Beitrag für die Wirtschaft nicht mehr vorstellbar. Auch auf vielen anderen Gebieten ist der Beitrag der türkischen Immigranten nicht mehr wegzudenken. 
Toleranz und Integration bleiben aber besonders für die Schulen eine der wichtigsten Aufgaben, die Tag für Tag im Klassenzimmer, im Pausenhof und bei  Schulprojekten bewältigt werden muss. Die Kinder der ausländischen Immigranten dürfen nicht allein gelassen werden. Die bereits sichtbaren Erfolge machen Mut für neue Projekte und Konzepte. Die interkulturelle Kompetenz wird im 21. Jahrhundert zu einer Schlüsselkompetenz für alle Schülerinnen und Schüler.


Menschenrechte im Internet

Unter der Adresse www.dadalos.org finden sich im Internet umfangreiche Informationen und Unterrichtsmaterialien zu den Themen Menschenrechte und Demokratie:

  • Originaldokumente, Presseartikel, Liedertexte, Photos, Schaubilder, Unterrichtsideen und vieles mehr. Die Themenkomplexe werden ständig aktualisiert und erweitert. Als nächstes ist eine Einheit zur Europäischen Integration vorgesehen.
  • Die Besonderheit dieses neuen Bildungsservers: er ist zweisprachig (Deutsch und Serbokroatisch) und wendet sich an Lehrende in Deutschland und im ehemaligen Jugoslawien.  Ab November diesen Jahres geht zusätzlich eine albanische Version für Lehrer im Kosovo online. Auf diese Weise sollen auch Kontakte und Kooperationen zwischen Schulen in Deutschland und Südost-Europa angestoßen werden.
Mehr Informationen:
Ingrid.Halbritter@dadalos.org

 


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