Zeitschrift

Jüdisches Leben in Baden-Württemberg

Möglichkeiten der Begegnung


Baustein D
Deutsch-israelischer Schüleraustausch

D3 - D5 Die Gegenwart der Vergangenheit


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Inhaltsverzeichnis


D 3 Vom Umgang mit Gefühlen

Das Theaterstück "Schuldig geboren" war Anlass für eine heftige Diskussion zwischen deutschen und israelischen Schülern. Aus dem Protokoll von Angela:

Eine israelische Schauspielerin hatte uns im Gespräch nach den Szenen aus "Schuldig geboren" persönlich angegriffen und uns mit der in Israel immer noch verbreiteten Meinung konfrontiert, in Deutschland habe sich nichts verändert. Das verletzte uns sehr. Wir lebten schließlich dort und empfänden das anders. Gilad war der Meinung, viele Israelis fühlten sich wohl in der Rolle des Opfers und weigerten sich zu glauben, dass sich "die Deutschen" jemals ändern könnten. Sie wollten Deutsche weder sehen noch mit ihnen sprechen und brauchten einfach einen Sündenbock. Des Weiteren hätten sie Angst zu erkennen, dass nicht jeder Deutsche schuld sei.

Orit räumte ein, sie sei zuerst gegen solche Treffen mit Deutschen gewesen, auch habe sie Bedenken gehabt, selbst an dem Austausch teilzunehmen. Gefühle seien eben nicht rational erklärbar. Außerdem sollten nicht nur oberflächlich freundliche Treffen mit uns zu Stande kommen, eine Auseinandersetzung müsse stattfinden. Petra hakte ein und sagte, diese Treffen seien ihrer Meinung nach ein Teil der Lösung, sofern es eine gäbe. Orit entgegnete, sie wolle uns ja nicht angreifen, aber wir hätten die Bürde zu tragen, und bei diesen Treffen mit Israelis müssten wir zeigen, dass sich etwas getan hätte und wir anders seien. Yella widersprach. Sie erwarte von unseren Treffen nicht, dass wir etwas bewiesen, sondern sie wolle uns als Menschen kennenlernen. Dann war von der "humiliation of loosing the war" die Rede, der Demütigung, den Krieg verloren zu haben. Aber wir seien jetzt die Generation, die in Deutschland etwas bewegen könne, zum Guten wie zum Schlechten. Auf jeden Fall müssten wir wachsam sein. Die Frage nach einem "German Feeling" kam auf. Damit waren wir wieder bei dem Schock, den wir alle empfanden, als die Schauspielerin uns gesagt hatte, es sei eben "in uns". Was immer "es" auch sein möge, das "Faschistische an sich" vielleicht. Wir dachten, dass "es" nicht mehr oder weniger in uns sei als in anderen Menschen auch.

Manche von uns waren ziemlich verunsichert. Wir fragten die Israelis, was sie darüber dächten. Dorit antwortete: "Ihr müsst aufpassen und alarmiert sein." Yella meinte, die Menschen seien überall gleich, und so etwas könne überall passieren. Druck und Unterdrückung änderten das Denken der Menschen, und jeder Mensch besitze, so meinte sie, ein gewisses faschistisches Potential. Es gelte zu verhindern, dass daraus etwas Schlimmes entstehe. Die Vorstellung, "die Deutschen" seien so geboren, beruhe auf Vorurteilen, genau wie die damalige Einstellung der Deutschen zu den Juden. Amir warf ein, dass geschichtlich gesehen die Deutschen sich nie gegen ihre Führer aufgelehnt hätten und dies somit wohl der deutschen Natur entspräche. Ist dies eine Frage der Erziehung oder sogar der Gene? Die Erörterung dieser Frage erschien uns als zu schwierig. Aber wir fragten uns: Inwieweit sind mein Denken oder meine Handlungen faschistisch? Lena meinte, ihre Familie sei Opfer geworden, und sie halte das Thema jetzt nicht mehr für gut. Wenn man sich wirklich damit beschäftigen wolle, solle man sich mit Personen treffen, die alles miterlebt haben. Hier darüber zu sprechen, halte sie für sinnlos. Yella empfand das anders. Für sie sei der Holocaust Teil der jüdischen Kultur. Sie träume sogar nachts davon, und man müsse (mit uns) darüber sprechen. - Später in den Kibbuzim sprachen wir noch lange über die Themen und Gefühle des Tages.

 

D 4 Kinder von Tätern und Opfern

Diskussion in Israel zum Thema "Das Komplott des Schweigens". Parallelen im Leben von Kindern der Täter und Kindern der Opfer in der zweiten Generation (Protokoll von Annika)

Die Täterseite: N. war ursprünglich deutsche Staatsbürgerin, 1944 in H. geboren, ihr Vater blieb in Russland vermisst. Sie wuchs in Deutschland auf, zu einer Zeit, als hier überall große Armut herrschte. Jeder war nur darauf bedacht, irgendwie sein Überleben zu sichern. Bis zu den sechziger Jahren habe sie niemals etwas über den Holocaust gehört - bis zu dem Tag, an dem ihr Geschichtslehrer nicht zum Unterricht kam. Ein Vertretungslehrer zeigte ihnen den Film "Mein Kampf". Dieser Film begann in der Zeit der Weimarer Republik und endete mit den Konzentrationslagern im Dritten Reich. N. war auf diese Bilder gänzlich unvorbereitet: "Es war ein traumatisches Erlebnis, das mein Leben völlig veränderte". Sie begann, Fragen zu stellen, z.B. den Nachbarn, die angeblich von den Deportationen gewusst hatten, nicht aber von den Lagern. Sie fragte, warum niemand etwas dagegen getan hatte. N. erkannte für sich selbst, dass sie "Teil eines Landes war, in dem jeder ein potentieller Mörder war". Mit 21 ging N. zum ersten Mal für drei Monate nach Israel. Sie dachte, dass die Verbindung mit den Opfern etwas in ihr heilen würde. Niemals zuvor war sie einem Juden gegenübergestanden: "Ich hatte das Gefühl, dass jeder das Recht hatte, mir ins Gesicht zu spucken." Aber niemand tat es, und sie fand endlich das Verständnis, das sie so dringend brauchte - bei den Juden. Zurück in Deutschland schloss sie sich den Linken an, weniger aus politischen Gründen, sondern aus Protest gegen die ältere Generation. Denn man sprach noch immer nicht über die Geschehnisse des Dritten Reiches. Für sie war klar, dass sie nach Beendigung ihres Studiums nicht in Deutschland bleiben würde. Als in Israel der Sechs-Tage-Krieg tobte, hatte sie das Gefühl, in dieses Land kommen zu müssen, da ihr dieser Krieg wie ein zweiter Holocaust erschien. Sie wollte nicht nur zuschauen, wie andere mordeten. Als sie in Israel ankam, war der Krieg vorbei, aber N. blieb. Mit 25 konvertierte sie zum Judentum und ihr Leben veränderte sich völlig. Nun war es ihr möglich, für sich selbst die Seite zu wählen, auf der sie stehen wollte. Sie fühlte sich bei den "Opfern" sehr viel wohler als bei den "Mördern". Sie nutzte die Gelegenheit, um ihre Fragen an die deutschen Jugendlichen zu stellen: Wie ist es heute in Deutschland ? Bekommt Ihr heute Antworten von euren Großeltern? Ich frage nicht, was ihr damals getan hättet, sondern was Ihr heute tun würdet, wenn Ihr seht, wie z.B. ein Türke auf der Straße zusammengeschlagen wird ?

Die Opferseite: P.s Vater überlebte die Konzentrationslager und wanderte nach Israel aus. Doch hier wurden die Flüchtlinge aus Europa mit Worten empfangen wie: "Die Juden haben sich wie Schafe zur Schlachtbank führen lassen." Das neue Israel war stark und brauchte Helden. Von physisch und psychisch gequälten und traumatisierten Menschen wie P.s Vater wollte man da nichts wissen. Der Holocaust wurde benutzt, um unter Menschen derart verschiedener Herkunft eine Einheit zu erzeugen. Die Juden als Opfer: historisch richtig, aber auch Rechtfertigung für vieles, was noch kommen sollte. P. hat mit seinem Vater nie über den Holocaust gesprochen. Als Kind war die Situation für ihn traumatisch: die Bilder, die er sah, wenn er sich den Vater im KZ vorstellte, oder wenn er den Vater scheinbar grundlos weinen hörte. In Tischgesprächen fielen immer wieder die Namen der Lager, und wie das Leben an den verschiedenen Orten war. Aber es waren immer nur kurze Einwürfe, eigentlich herrschte Stille zum Thema Holocaust, doch lag die ganze Zeit etwas in der Luft. Außerhalb der Familie waren die Erfahrungen nicht weniger belastend. In der Öffentlichkeit herrschte die Meinung, dass man die KZ-Hölle nur überleben konnte, wenn man kollaborierte; das bedeutete, für den Tod von Mitgefangenen verantwortlich zu sein. P. begann sich selbst zu fragen, warum sein Vater überlebt hatte, und er begann ihn zu hassen. Er hasste und liebte ihn. Die Situation wurde für ihn unerträglich und er zog aus. Erst jetzt kann er darüber reden.

 

D 5 Auseinandersetzung mit dem Holocaust

Übersicht über das Projekt Holocaust im Kibbuz Afikim; Schreiben des Projektleiters Nir Atir (Übersetzung aus dem Englischen).

Inhaltsübersicht über die Lektionen, die für die israelischen Jugendlichen in der Klassenstufe 11 des Kibbuz den ersten Teil des Projekts ausmachen. (Den zweiten Projektteil bildet die Polenfahrt und der Jugendaustausch.) Die Eltern werden zu allen Aktivitäten mit eingeladen. Für bestimmte Veranstaltungen wird die Teilnahme der Eltern ausdrücklich empfohlen.

1. Antisemitismus (Videofilm: Hate of Israel, Moderner Antisemitismus, Stereotypen)

2. Die Geburt des Nationalsozialismus (Zwischen den beiden Weltkriegen, Videofilm: "The Paradise", Augenzeugenbericht: Das Leben in Deutschland in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg)

3. Die Gettos (Die Propaganda der Nazis, Augenzeugenbericht: Leben im Getto, Organisationsformen und Aufstände in verschiedenen Gettos, Erziehung und Jugendbewegung in den Gettos)

4. Die Endlösung (Augenzeugenbericht: Leben im Vernichtungslager, Videofilm: Die Endlösung, Augenzeugenbericht: Überleben im Vernichtungslager)

5. Kriegsende (Die Reaktion der Weltöffentlichkeit auf den Holocaust, Augenzeugenbericht: Berichte vom Überleben, Der Holocaust in der israelischen Presse, Die zweite Generation, Zusammenfassung. Vorbereitung der Reise nach Polen)

Die Teilnahme an allen Aktivitäten ist verpflichtend. Falls Probleme dabei auftreten, sollten diese der Projektleitung mitgeteilt werden.

 


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