Das soziale Netz einer Stadt
B 18 Theaterstück: Die Geschichte von Helmut


Prolog

Sprechtext



Tochter: Du Mama! Mutter: Ja?

T: Stell dir vor, heute war ich in der Fußgängerzone, da saß ein Mann, der hatte ein Schild vor sich stehen, da stand drauf: "Ich bin obdachlos!" Warum sind Menschen obdachlos? M: Weißt du, ich erzähle dir am besten die Geschichte von Helmut, einem Mann, mit dem ich gesprochen habe, er war sehr lange obdachlos. Setz dich her.

T: Was? Du hast mit so einem gesprochen? Der, den ich getroffen habe, der sah so schmutzig aus.

M: Ich erzähle dir jetzt die Geschichte, vielleicht verstehst du mich dann besser.

 Regieanweisung

(Saal ist dunkel) (Bühne ist dunkel) (Lampenlicht geht an)

Mutter im Lehnstuhl, liest Buch. Tochter kommt


Tochter bleibt stehen

 

 

 

T. setzt sich

 

1. Szene: Normales Leben

 

 

M: Helmut war 30 Jahre alt, hatte eine wunderschöne Wohnung, eine tolle Stereoanlage, ein rasantes Auto.


Natürlich besaß er auch ein Handy, um stets erreichbar zu sein. Besonders aber freute er sich über sein weiches warmes Bett, in das er abends immer müde hineinfiel.

Natürlich nur, nachdem er zuvor die kuschelig warme Daunendecke aufgeschüttelt hatte. Von Beruf war er Elektroingenieur. Er verdiente gut. Jeden Morgen mußte er sehr früh aufstehen. Dann stieg er in sein Auto und fuhr zur Arbeit.


Dort saß er dann am Schreibtisch und arbeitete den ganzen Tag über.

Nach der Arbeit freute er sich besonders darauf, seine hübsche Freundin zu sehen. Meistens gingen sie in ein teures Restaurant zum Abendessen; er konnte es sich bei seinem Beruf ja leisten.

Ab und zu machte er seiner Freundin auch ein teures Geschenk, worüber sie sich besonders freute.

Spät abends, nachdem er sich von seiner Freundin verabschiedet hatte, ging er wieder nach Hause in sein schönes weiches Bett; natürlich nicht ohne vorher die Daunendecke aufzuschütteln.

T: Ja, aber dann ist doch alles gut, er hat doch sicher auch noch Freunde. So jemand muß doch nicht in die Fußgängerzone sitzen, er hat doch alles, was er braucht.

M: Hör zu, wie die Geschichte weitergeht.

 

3 Stühle, Decke, Kassettenrecorder, Ferrari, Handy, Tisch, Papier, Stift, Stuhl, Tisch, 2 Gläser, Sektflasche, 2 Stühle, Papierkorb

(Scheinwerfer auf Bühne) H. zeigt stolz ringsherum

H. dreht an Kassettenrecorder

H. zeigt mit Angebermiene auf Auto H. nimmt Telefon, spricht

H. testet die Federung des Bettes H. schüttelt die Decke auf

H. steht gähnend auf

H. kniet auf Boden, nimmt Ferrari und macht Motorengeräusche H. sitzt nachdenklich schreibend am Schreibtisch
F. (aufgetakelt, affektiert) kommt auf die Bühne. Stürmische theatralische Umarmung

H. u. F sitzen an Tisch. Er schenkt Sekt ein. Zuprosten

H. zieht Perlenkette aus der Tasche und gibt sie F Sie freut sich

H. verabschiedet sich von F H. testet wieder Weichheit

H. schüttelt Daunendecke auf, fällt ins Bett und schläft (Scheinwerfer aus)

Restauranttisch wird zu Arbeitsamtstisch

   
Helmut mit seinem Handy I demonstriert Wohlstand  
   
2. Szene: Alles bricht zusammen

M. Eines Morgens, er war wieder sehr früh aufgestanden und mit seinem Auto ins Büro gefahren, empfing ihn seine Chefin händeschüttelnd.

Unter großem Bedauern teilte sie ihm mit, daß es der Firma schlecht gehe. Da er noch nicht lange bei der Firma arbeite, müsse er als erster entlassen werden.

Wohlwollend klopfte sie ihm auf die Schulter und meinte: Er sei ja noch jung und würde si cher schnell eine neue Stelle finden.

Helmut ging noch am selben Tag zum Arbeitsamt.

Er bekam zwar Arbeitslosenunterstützung, doch einen neuen Job konnte man ihm nicht in Aussicht stellen.

Eine Zeitlang konnte er noch sein gewohntes Leben weiterführen. Er konnte sein Auto spazierenfahren,

er konnte mit Freunden stets telefonieren, er ging mit seiner Freundin aus,

und er fiel abends weiterhin müde in sein weiches Bett; natürlich nicht ohne vorher die Daunendecke aufzuschütteln.

Doch Helmut hatte Pech. Er fand keinen Job, er konnte sich seinen teuren Lebensstil nicht mehr leisten. Zuerst mußte er sich von seinem teuren Auto trennen, die Telefonrechnung wurde für ihn nicht mehr bezahlbar, auch die teure Stereoanlage mußte zu Geld gemacht werden.

Es war nur noch eine Frage der Zeit, dann konnte er sich auch seine Wohnung nicht mehr leisten. Mit der Miete war er bereits zwei Monate im Verzug.

Tatsächlich kam dann eines Tages die Wohnungskündigung per Post ins Haus.
Für Helmut war das nicht so schlimm. Schließlich hatte er schon längere Zeit damit ge rechnet. Er packte seine Tasche.

Wenn für ihn hier kein Platz mehr war, dann hatte bestimmt seine Freundin einen Platz für ihn. Sein Bett konnte er ja später noch nachholen.

Was er dann erlebte, war für Helmut wie ein Alptraum. Seine über alles geliebte Freundin, der er alles gegeben hatte, empfing ihn an der Tür.

Sie meinte, sie habe bereits einen neuen Freund mit mehr Geld. Dieser sei nicht so ein Versager wie er.

Ohne darüber nachzudenken, läuft Helmut davon, für ihn ist eine Welt zusammen gebrochen. Ziellos geht er umher.

Zum ersten Mal schläft er nicht wie gewohnt in seinem weichen warmen Bett. Müde fällt er auf eine harte Parkbank, die ihm als Ruhestätte dient, natürlich nicht ohne vorher die Zeitung von gestern, die ihm als Decke dient, aufzu schütteln.

(Scheinwerfer an)


H. steht gähnend auf
H. fährt mit Auto

C. begrüßt H. händeschüttelnd

C. drückt mit Gestik Bedauern aus
H. schaut verdutzt

C. klopft H. auf Schultern

H. geht zum Arbeitsamt


H. geht zu A. Gespräch: Bedauern

H. fährt mit Auto

H. telefoniert mit Handy
H. trifft sich mit F im Restaurant
H. prüft Weichheit des Bettes
H. schüttelt Decke auf

H, steht auf, schaut sich hilflos um
H. wirft Auto in Papierkorb

H. wirft Handy in Papierkorb
H. wirft Kassettenrecorder in Papierkorb

H. greift in die leeren Hosentaschen Briefträger wirft Brief ins Haus

H. liest Brief, knüllt ihn zusammen H. packt Tasche

 

H. geht zu F
H. klingelt

F öffnet

F gleichgültig, schiebt H. weg

H. läßt Tasche stehen und läuft davon

H. testet kopfschüttelnd das harte Bett
H. schüttelt die Zeitung
H. schläft

(Scheinwerfer aus)

 

Helmut geht nichtsahnend ins Büro, dort erwartet ihn seine Kündigung. Der erste Schritt in die Obdachlosigkeit  
   
T. Der arme Mann tut mir echt leid. Warum ist er nicht zu seinen Freunden gegangen? M: Es gibt Situationen, in denen weiß man keinen Ausweg mehr, man fühlt sich einfach alleingelassen. Da fragt man auch nicht nach der Hilfe anderer. Die Enttäuschung war für Helmut groß. Er hatte keine Kraft mehr, um sich aufzurappeln; schließlich war er auch ohne Arbeit.
T: Meinst du, der Mann in der Fußgängerzone hatte auch etwas Ähnliches erlebt?
M: Das weiß ich nicht, aber bei Menschen, die auf der Straße leben, liegt die Ursache oft darin, daß in ihnen etwas zerbrochen ist, so daß sie keine Perspektive mehr im normalen Leben sehen.
T: Was hat Helmut dann gemacht?
M: Helmut hatte nicht mehr die Kraft zurückzukehren, er lebte jetzt als Obdachloser auf der Straße.
T: Wie sieht so ein Leben als Obdachloser aus?
(Sprecherinnen)
   
 3. Szene: Auf der Straße

 

M: Helmut kam in eine andere Stadt, dort war ihm zunächst alles fremd.
Eine Frau, die ebenfalls obdachlos war, zeigte ihm den Weg zur Fachberatungsstelle. Eine freundliche Mitarbeiterin gab ihm dort erst einmal eine Grundausstattung zum Über leben: einen Schlafsack.
Auch Geld erhielt er. Jedem Obdachlosen stehen 17,50 DM pro Tag zu.
An Kleidung besaß er nur das, was er an jenem Abend bei seiner Freundin anhatte.

Aber in der Klamottenkiste konnte er sich für wenig Geld einige Ersatzkleider beschaffen. Was er jetzt noch lösen mußte, war das Knurren in seinem Magen.

Zum Glück gab es den Tagestreff St. Vinzenz. Hier bekam Helmut nicht nur eine warme Mahlzeit,

sondern auch etwas Zuwendung von den dort arbeitenden Schwestern und ehren amtlichen Mitarbeitern.

Dies brauchte er gerade am nötigsten, denn als Obdachloser ist man sehr allein.

Es war gerade Dezember. Nachts gingen die Temperaturen unter Null Grad. Da war es gefährlich, sich auf eine Parkbank zu legen. Sehr leicht erfror man dabei.

Helmut ging zu einer Einrichtung, die Erfrierungsschutz genannt wird.

Hier erhielt er mit anderen zusammen in einem Raum ein Bett in einem geheizten Raum. Nach so einem Tag auf der Straße fiel Helmut abends immer müde in sein nicht ganz so hartes Bett,

natürlich nicht ohne vorher die Decke aufzuschütteln.


T: Mama, du hast immer noch nicht erklärt, warum jemand in der Fußgängerzone sitzt.
M: Es gibt viele Obdachlose wie Helmut, die versuchen, den Anschein eines einigermaßen normalen Lebens zu wahren. Trotz ihrer Probleme möchten sie der Öffentlichkeit nicht zei gen, daß sie Hilfe brauchen.
T: Also du meinst, es gibt noch mehr Obdachlose als die, die in der Fußgängerzone sitzen?
M: Ja.
T: Aber wer sitzt dann dort?
M: Manche dieser Obdachlosen sind innerlich so sehr verletzt, daß sie glauben, ihre Probleme nur noch mit Alkohol ertragen zu können. Alkoholismus ist besonders verbreitet unter Langzeitobdachlosen. Solchen Menschen reichen dann die 17,50 DM, die sie täglich bekommen, nicht mehr. Sie setzen sich in die Fußgängerzonen der Städte und versuchen, Geld zu bekommen.
T: Der Mann hatte auch einen Hund bei sich. Ist der auch obdachlos?
M: Ja, natürlich. So ein Hund kann unheimlich wichtig für einen Obdachlosen sein.
T: Warum?
M: Als Obdachloser übernachtet man manchmal an Orten, da gehen andere Leute nachts gar nicht mehr hin. Da muß der Hund Wache halten und auf den Obdachlosen aufpassen. Oft ist so ein Hund der einzige Ansprechpartner für einen Obdachlosen. Was Obdachlosen fehlt, sind Kontakte zu anderen Menschen. Materiell wird man zwar versorgt, aber es fehlt die Nestwärme. Sie haben kein Zuhause, wo sie jemand erwartet und sich anhört, was sie heute erlebt haben. Sie sind fast immer alleine.
T: Aber es gibt doch die anderen Obdachlosen.
M: Ja, die halten manchmal wie Freunde zusammen, aber letztendlich ist jeder mit seinen Sorgen allein.
T: Lebt Helmut jetzt auch noch auf der Straße?
M: Nein, ihm konnte geholfen werden, ich erzähle dir, wie.

(Sprecherinnen) Tisch, 2 Stühle, Schilder (Fachberatungsstelle, Klamottenkiste, St. Vinzenz, Erfrierungsschutz), Teller, Löffel, Kleider
(Scheinwerfer an)
H: sieht sich suchend um
O. zeigt ihm den Weg
M. begrüßt H., Gespräch
M. gibt ihm die Decke
M. gibt Geld

H. schaut an sich herunter

 

H. geht zu Klamottenkiste und bekommt Kleider

H. hebt sich Bauch
H. bekommt von S. einen Teller Suppe

 

H. und S. im Gespräch

 

H. friert

H. geht zu Erfrierungsschutz

Mann weist H. ein Bett zu

H. testet Weichheit, einigermaßen zufriedener Gesichtsausdruck

H. schüttelt Decke und schläft (Scheinwerfer aus)

 

 

 

 

(Sprecherinnen)

     
4. Szene: Wiedereingliederung

 

M: Helmut war mal wieder im St. Vinzenz, um einen Kaffee zu trinken und um sich ein wenig zu unterhalten.

Danach ging Helmut zur Fachberatungsstelle, um sich sein Geld abzuholen.
Dort sprach ihn die Mitarbeiterin darauf an, ob er nicht den Versuch wagen wolle, in ein normales Leben zurückzukehren.

Helmut schaute sie fragend an: Wer sollte ihm, einem Obdachlosen, Wohnung und Arbeit geben?

Die Mitarbeiterin schickte ihn zu Verein Heimstatt. Dort könne man ihm helfen. Sofort machte sich Helmut auf den Weg.

Bei Verein Heimstatt wurde er freundlich empfangen, er sollte eine Wohnung erhalten. Dies könne es ihm erleichtern, eine Arbeit zu finden und dadurch wieder ins normale Leben zurückzukehren.
Gemeinsam gingen sie zur Wohnung. Der Mitarbeiter zeigte sie ihm.

Helmut fand auch tatsächlich wieder eine Arbeit. Abends kam er jetzt wieder in seine Wohnung.

Vom ersten Gehalt hatte er sich ein weiches Bett und eine warme Daunendecke gekauft. Müde fiel er dann abends in sein Bett,

natürlich nicht ohne vorher die Daunendecke aufzuschütteln.

 

Epilog

T: Führt er jetzt wieder ein normales Leben?
M: Beinahe. Helmut lebte lange Zeit auf der Straße. Jetzt hat er Angst, auf die sogenannten normalen Leute zuzugehen. Er glaubt, man sehe ihm seine Vergangenheit an. Helmut ist noch immer einsam, aber er findet immer mehr Freunde.
T: Einsam zu sein muß schrecklich sein. Man kann mit niemandem über seine Probleme reden. Zum Glück habe ich dich.

M: Ja, da hast du es gut. Es gibt viele Menschen, die sich manchmal einsam fühlen. Aber es gibt auch Menschen, die sich um sie kümmern. Sie bringen, wie Jesus, ein Licht. Ein Licht, das in die Einsamkeit solcher Menschen hineinschaut. Ein Lichtschein im Leben
von alten Menschen,
behinderten Menschen,
kranken Menschen,
Asylsuchenden,
Arbeitslosen,
Alleinerziehenden,
psychisch Kranken,
Jugendlichen,
Schwangeren
und von Obdachlosen.
So, jetzt gehen wir aber auch in unsere Betten. Und vergiß nicht, die Daunendecke aufzuschütteln!

Schild "St. Vinzenz", "Verein Heimstatt e.V." und "Berberdorf", Kaffeetasse

(Scheinwerfer an) H. trinkt Kaffee

H. im Gespräch mit anderen Obdachlosen
H. geht zur Fachberatungsstelle
und erhält dort sein Geld

H. spricht mit M.
H. schaut fragend

M. zeigt H. den Weg

H. geht zu Verein Heimstatt

M. begrüßt H.

Gespräch
M. geht mit H. zur Wohnung
M. zeigt Wohnung
H. am Arbeitsplatz

H. mit Stolz in seiner Wohnung
H. zeigt auf Bett und Decke

H. testet Weichheit
H. schüttelt Decke
H. schläft zufrieden ein (zufriedenes Seufzen) (Scheinwerfer aus)

 

 

 

 

 

 

 

(Bei jeder Gruppe, die genannt wird, wird eine brennende Kerze in den Zuschauerraum getragen.)

 

 

 

(Lampe aus)