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Grundgesetz im Profil



BAUSTEIN E: Grundgesetzänderung "Asyl"
E 19 - E 20
Beurteilungen



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Inhalt


E 19 Die Änderung ist verfassungskonform

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (BVerfG) hat alle 1993 beschlossenen Einschränkungen des Asylrechts für verfassungsgemäß erklärt. Der 2. Senat billigte sowohl die Drittstaatenregelung, die Liste sicherer Herkunftsländer als auch die Flughafenregelung. Eingeschränkt wurde die Möglichkeit abgelehnter Asylbewerber, durch einen Eilantrag vor dem BVerfG die Abschiebung zu verhindern. Der Gesetzgeber muss allerdings die Frist, die dem Flüchtling im Flughafenverfahren zur Erhebung einer Klage zustehe, um vier Tage verlängern.

Die drei neuen Einzelregelungen des Asylrechts hielten in Karlsruhe stand. Danach haben Flüchtlinge, die über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik einreisen, grundsätzlich keinen Asylanspruch mehr und können an der Grenze zurückgeschickt werden. Der Verlust des Asylanspruchs für Flüchtlinge, die aus einem sogenannten sicheren Herkunftsland kommen, wurde ebenfalls gebilligt. Behörden und Gesetzgeber müssten die Verhältnisse in dem Land beurteilen. Nur wenn in dem Staat landesweit für alle Bevölkerungsgruppen Schutz vor politischer Verfolgung bestehe, könne er als sicher eingestuft werden.

Auch das verkürzte Flughafenverfahren ist verfassungskonform. Dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, das die Asylbewerber im Flughafen zuerst anhört und über ihre Anträge entscheidet, gaben die Richter jedoch auf, die Verständigungsschwierigkeiten der Flüchtlinge sowie deren Belastungen zu berücksichtigen.

Gerichtspräsidentin Jutta Limbach sowie die Verfassungsrichter Berthold Sommer und Ernst-Wolfgang Böckenförde (alle SPD) veröffentlichten hierzu eine abweichende Meinung.

Christoph Brenner: Chronik der asylpolitischen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland 1995/1996 anhand ausgewählter Pressemeldungen, in: Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Band 1: Asylpraxis, Nürnberg 19972, S. 117

Aktenzeichen: 2 BvR 1507/93, 1508/93, 1516/93, 1938/93 und 2315/93

E 20 Grundsätzliches und Details

Zwar existiert kein Verbot, Verfassungen mit Detailregelungen anzufüllen. Wohl aber steht auf Überfrachtung ein Preis. Je mehr durch die Verfassung vorentschieden ist, desto schmaler wird der Raum für Mehrheitsentscheidungen. Deswegen muss sich der verfassungsrechtliche Konsens aufs Grundsätzliche beschränken, wenn demokratische Politik möglich bleiben soll. Verengen sich die verfassungsrechtlichen Maschen, büßt die Politik im selben Maß ihre Fähigkeit ein, Alternativen zu entwickeln und auf wechselnde Bedingungen zu reagieren. Es gibt dann keinen Politikwechsel mehr ohne vorgängige Verfassungsänderung, und selbst Detailänderungen bedürfen des aufwendigen Verfahrens, das aus gutem Grund Prinzipienänderungen vorbehalten ist.

Scheitert die Verfassungsänderung, so steht man vor der Wahl, entweder auf fällige Reformen zu verzichten oder sie ohne Rücksicht auf die Verfassung durchzuführen. Beides ist gleich schädlich. Im ersten Fall kommt es zur Blockade des politischen

Systems mit den bekannten wechselseitigen Schuldzuweisungen der Parteien und Frustrationserscheinungen im Publikum. Im zweiten Fall kommt es zur Entwertung der Verfassung, die nur noch

einen schönen Schein verbreitet, aber ihre Bindungskraft verliert. Man kann daraus ersehen, dass Verfassungen, die die Verrechtlichung der Politik zu weit treiben, die Umgehungsgefahr selbst heraufbeschwören. Verfassungsperfektionismus schlägt in Verfassungsirrelevanz um. Ein Charakteristikum, dem die Bundesrepublik einen Großteil ihrer Legitimität im Innern und ihres Ansehens in der Welt verdankt, die Wertschätzung der Verfassung, wird damit verspielt.

Dieter Grimm: Parteiinteressen und Punktsiege. Wie man eine Verfassung verderben kann; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.12.1998, Bilder und Zeiten, S. II


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