Baustein B

Wie sage ich, was ich meine ?


Über das RedenVon Martin Luther : Tritt fest auf, mach's Maul auf, hör bald auf.

"Sprich, damit ich dich sehe" - heißt es in einem Spruch aus der Antike. Mit diesen Worten könnte eine Lehrkraft von einem Schüler oder einer Schülerin mehr Mitarbeit im Unterricht einfordern. "Wer viel schießt, ist noch kein Schütze!" und "Wer viel spricht, ist noch kein Redner!" könnte mit Konfuzius' Worten die schlagfertige Antwort ausfallen. Unabhängig davon, wer in der jeweiligen Situation Recht haben mag, unbestritten ist die enorme Bedeutung der Ausdrucksfähigkeit und Beredsamkeit (Eloquenz) im Rahmen der von vielen Seiten geforderten Schlüsselqualifikationen. Für die meisten Probleme, die täglich auf uns zukommen, besteht der Anfang aller Problemlösung in der simplen Regel: Man muß miteinander reden. Damit ist es leider nicht immer getan, oft genug kommen wir zu der Erkenntnis: Reden hilft nicht (mehr)! Bis aber solch ein aussichtsloser Punkt erreicht ist, sind gewöhnlich viele Fehler begangen worden. Vielleicht können einige Materialien dieses Heftes bei Jugendlichen präventiv wirken.

In der Auseinandersetzung von Mensch zu Mensch entscheidet keineswegs nur die Stichhaltigkeit, die Stringenz und die Qualität der Argumentation, sondern die Erfahrung zeigt, daß die Kunst des treffenden Ausdrucks zumindest in gleichem Maße die Zuhörerschaft beeinflußt - ob wir dies gut finden oder nicht. Aufgrund dessen sollen die Schülerinnen und Schüler das Rüstzeug erhalten, ihre guten Argumente auch wirkungsvoll "hinüberbringen" zu können. Es ist zu wenig, die "besseren" Argumente auf seiner Seite zu haben. Wer im Kampf der Ideen bestehen will, der muß die kritischen Zuhörer überzeugen; und da ist die Verpackung nicht weniger wichtig als der Inhalt.

Im Unterschied zur antiken Rhetorikauffassung wird heute vielfach der Zweck des Redens in den Vordergrund gerückt. Die Fragestellung lautet sinngemäß so: Mit welchen sprachlichen Mitteln kann ich am ehesten einen bestimmten Zweck erreichen? Man spricht für eine Sache, und das Reden gilt als eine "soziale Handlung", die einem übergeordneten Ziel dienen soll. "Dieses Ziel ist der Mensch, seine Gesellschaft, seine Organisationen, der Betrieb, die Gruppe, die Gemeinde, kurzum alles das, was Menschen irgendwo und irgendwie zusammenbringt."'(Michael Schiff: Redetraining. München: Wilhelm Heyner Verlag 61990, S. 12.)

Von der Rhetorik wird heute außerhalb des wissenschaftlichen Kontextes in erster Linie erwartet, daß sie anwendbare Techniken zur Verfügung stellt. Auch wenn diese Techniken die Ausstrahlungs- und Überzeugungskraft ebenso wie die Glaubwürdigkeit der Persönlichkeit (das Charisma) nicht zu ersetzen vermögen, so verbessern rhetorische Fähigkeiten doch die Durchsetzungsfähigkeit in unterschiedlichen Lebensbereichen. Ein solches instrumentelles Rhetorikverständnis läßt sich am ehesten durch folgende Definition zusammenfassen:

"Rhetorik ist die Wissenschaft, die sich mit der Redekunst beschäftigt. Rhetorik befaßt sich mit der Frage, wie ein Sprecher (Sender) seine Botschaft formulieren, ausdrücken und übertragen muß, damit sie beim Zuhörer (Empfänger) die gewünschte Wirkung erzielt."

(Riesen, Marcel/Studer, Jürg: Rhetorik - erfolgreich reden. Ein Leitfaden für den Praktiker. Bern: Cosmos Verlag, z. Aufl. 1991, S. 13)

Eine Rhetorik in diesem Sinne beschäftigt sich mit folgenden Bereichen (In Anlehnung an Riesen/Studer (21991), S. 14):

· Psychologie und Kommunikation

· Sprache und Wortschatz

· Körpersprache · Redefiguren

· Redevorbereitung

· Aufbaumöglichkeiten einer Rede

· Gesprächsführung

· Technische Hilfsmittel und deren Einsatz

· Erfolgreiche Reden

Bei solch einer instrumentellen Sichtweise ist es wichtig, an diverse Formen des rhetorischen Mißbrauchs (Stichwort "Demagogie" oder "Propaganda") zu erinnern (vgl. Baustein C). Baustein B versteht sich als kleiner Leitfaden für erfolgreiches Reden und Argumentieren, wobei streng unterschieden werden muß zwischen Redetechnik auf der einen Seite und der Beurteilung des Gesagten auf der anderen Seite. Nicht selten wird gerade auch von Politikern der Eindruck erweckt, wer "rhetorisch geschickt" (was dies auch immer bedeuten mag) sei, der führe eine schlechte Absicht im Schilde. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

In diesem Zusammenhang muß berücksichtigt werden, daß Sprechen immer auch eine Handlungskomponente hat. Wenn wir also politisch aktive und interessierte Jugendliche als wünschenswert erachten, dann muß das Symbolsystem Sprache mit seinen vielfältigen Regeln den Kindern und Jugendlichen insofern nahegebracht werden, als sie Sprechen als eine Form des Handelns erkennen und natürlich auch selber zum sprachlichen Handeln befähigt werden. Bürger setzen Worte zur Durchsetzung ihrer politischen Interessen ein, mit Hilfe der Sprache kritisieren und reflektieren sie politische Entscheidungen: kurzum, sie handeln politisch. Insofern gehört das Recht, sich zu äußern, ebenso zur Politik wie die Fähigkeit, seine Interessen überhaupt erst adäquat mit Worten formulieren und damit mitteilen zu können. Überspitzt formuliert könnte man sagen: ersteres ist ohne zweiteres nichts wert. Baustein B will Schülerinnen und Schülern mit Hilfe eines handlungs- und produktionsorientierten Ansatzes rhetorische Grundkenntnisse vermitteln. Wer selber versucht, eine Rede zu entwerfen und vorzutragen, ist bei der Analyse von Reden (vgl. Baustein C) sowohl kognitiv als auch emotional für komplexere Zusammenhänge sensibilisiert. Die Jugendlichen sollen durch die vielfältigen Redebeispiele aus dem Schulbereich motiviert werden, im Unterricht oder in Projektgruppen eigene Reden mit überzeugenden Argumentationsmustern zu aktuellen schulpolitischen Debatten vorzutragen.

Ziele

           · Charakteristika verschiedener Redearten und -formen und Argumentationstechniken kennenlernen;

· das Verfassen und Vortragen von Reden als ein Zusammenspiel von verbaler und nonverbaler Kommunikation erleben und den Dialogcharakter zwischen Redner und Auditorium nachvollziehen (emotionales Lernziel);

· im kleinen Stil Reden entwerfen, vorbereiten und halten;

· in Rollenspielen und im Vortragen selbst verfaßter Texte das Sprechen und Auftreten in "öffentlichen Kommunikationssituationen" einüben (instrumentelles Lernziel);

· Reden bzw. Sprechen als eine Form des Handelns erkennen.