Zeitschrift 

Europa wählt -
Europa wird größer!

Europa wählt

Europa wird größer

Europa wird anders

Perspektiven, Chancen und Probleme

 

Heft 1-2/2004, 
Hrsg.: LpB



 

Inhaltsverzeichnis

B9 - B14

Der Erweiterungsprozess


B9 

Die "Kopenhagen-Kriterien"

Auf seinem Gipfel 1993 in Kopenhagen hat der Europäische Rat Bedingungen für den Beitritt weiterer Kandidaten zur EU genannt. Man nennt diese Bedingungen die "Kopenhagen-Kriterien".

Beim Europäischen Rat 1995 in Madrid wurde ergänzend festgelegt, dass der Verwaltungs- und Justizapparat in jedem Beitrittsland so geordnet sein muss, dass er in der Lage ist, das EU-Recht auf nationaler Ebene jederzeit angemessen umzusetzen. 1999 fügte der Europäische Rat in Helsinki hinzu, dass die Beitrittsländer die im Vertragswerk niedergelegten Werte und Ziele der EU teilen müssen. Er rief die Kandidatenstaaten dazu auf, offenstehende Grenzstreitigkeiten vor ihrem Beitritt beizulegen.

Die Erfüllung der politischen Beitrittskriterien war die Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Die wirtschaftlichen Kriterien mussten bis zum Abschluss der Verhandlungen erfüllt sein. Das Kriterium der vollen Übernahme des Besitzstandes ("Gemeinschaftskriterium") konnte von den Kandidatenländern bis zum Beitritt nur eingeschränkt erfüllt werden. Deshalb war eine große Zahl von Übergangsregelungen erforderlich.

 

B10 

"Acquis Communautaire"

"Acquis Communautaire" ist Europajargon für den rechtlichen gemeinschaftlichen Besitzstand der Europäischen Union. Der Acquis entwickelt sich ständig weiter und umfasst den Inhalt, die Grundsätze und die politischen Ziele der Verträge, die in Anwendung der Verträge erlassenen Rechtsvorschriften und Rechtsakte sowie die im Rahmen der Union angenommenen Erklärungen und Entschließungen. Dabei handelt es sich um rund 14.000 Rechtsakte auf mehr als 80.000 Seiten.

Für die Zwecke der Beitrittsverhandlungen wurde der Acquis in 31 Kapitel aufgeteilt, z.B.:

  • Freier Warenverkehr

  • Freizügigkeit

  • Freier Dienstleistungsverkehr

  • Wettbewerbspolitik

  • Landwirtschaftspolitik, usw. ...

Konkret bedeutet das zum Beispiel:

Zu den vier Elementen des Gemeinsamen Europäischen Binnenmarkts gehört neben den freien Kapital, Waren- und Dienstleistungsverkehr das Recht aller Unionsbürger, sich im gesamten Gebiet der Union frei zu bewegen und aufzuhalten, sowie das Recht, in allen EU-Staaten wie ein Inländer behandelt zu werden. Für die Beitrittsländer bedeutet dies, dass sie alle Beschränkungen der Einreise, des Aufenthalts, der Niederlassung und der Beschäftigung für Angehörige der 15 EU-Staaten abbauen müssen.

Die Kommission der Europäischen Union unterstützt die Beitrittsländer im "Heranführungsprozess" bei der Schaffung der erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen und der Einrichtung entsprechender Behörden und Ämter. Sie überwacht darüber hinaus die uneingeschränkte Durchsetzung des Freizügigkeitsgebots nach dem Beitritt in die Gemeinschaft.

 

B11 

Die EU-Erweiterung in der Karikatur

 

Zeichnungen 1 und 2: Mohr, Zeichnungen 3 und 4: Mester, Zeichnung 5: Thomas Plaßmann

 

B12 

Am Rande notiert

Gruppenfoto auf dem EU-Gipfel in Kopenhagen im Dezember 2002.

Foto: Europäische Kommission

  1. Der Athener Erweiterungsgipfel am 16. April 2003 ließ ahnen, welche Größenordnung auf die EU jetzt zukommt. Fast eine ganze Stunde lang dauerte das Händeschütteln. Um den Festakt nicht ausufern zu lassen, war vereinbart worden, dass jeder der 25 Regierungschefs vor seiner Unterschrift unter die in 20 Sprachen abgefassten Beitrittsverträge nur eine kurze Rede halten sollte. Trotzdem dauerte die Zeremonie fast vier Stunden.

  2. Beim Festakt in Athen blieben die Stühle der ebenfalls geladenen türkischen Regierungsvertreter leer. Sie wollten damit gegen die Aufnahme Zyperns in die EU protestieren, nachdem die Türkei seit Jahren vergeblich versucht hatte, die Aufnahme der Insel, deren Nordteil sie militärisch besetzt hält, zu verhindern.

  3. Deutschland rückt nach der Aufnahme von zehn neuen Mitgliedstaaten in die EU nicht nur geografisch in die Mitte der Gemeinschaft. In den mittel- und osteuropäischen Beitrittsländern sprechen auch mehr Leute Deutsch als Französisch. Dies ist auch mit ein Grund, weshalb sich Frankreich für die osteuropäischen Länder Bulgarien und Rumänien stark macht: Sofia und Bukarest gelten als frankophil. Ihre Aufnahme soll die wachsende "Deutsch-Lastigkeit" der Union entgegensteuern.

  4. Das Europaparlament bereitet sich auf künftig 19 Amtssprachen statt bisher elf vor. Das Wort vom Babel mit verwirrend vielen Idiomen macht die Runde. Manche Sprachkombinationen wie beispielsweise Finnisch-Tschechisch werden sich wohl nicht direkt übersetzen lassen; es muss dann eine so genannte "Brückensprache" wie Englisch oder Deutsch dazwischengeschaltet werden, die dann weiter übersetzt wird.

  5. Für den Haarschnitt, der in Kiel 15 Euro kostet, verlangt ein Frisör im polnischen Posen umgerechnet nur 2,50 Euro. Es wäre jedoch nicht korrekt zu behaupten, dass der Haarschnitt in Posen nur ein Sechstel des Haarschnitts in Deutschland wert ist.

  6. Polnische Nilpferde dürfen sich freuen, denn die polnischen Zoogehege für Wildkatzen, Nilpferde und Schimpansen erfüllen die EU-Auflagen für die Haltung von wilden Tieren nicht. Nach Polens Beitritt zur EU bleibt den dortigen Zoos noch eine Frist von zwei Jahren, um etwaige Beanstandungen europäischer Zoodirektoren an der artgerechten Tierhaltung zu beheben.

  7. In den für die Erweiterung entscheidenden Jahren 2000 bis 2002 waren rund 350 Beamte der Europäischen Kommission und über 700 Mitarbeiter der Außenstellen der Kommission in den Beitrittsländern mit den Verhandlungen über die Aufnahme der neuen Mitglieder in die Europäische Union befasst.

  8. Die holländische Volkswirtschaft ist größer als die aller Beitrittskandidaten zusammen.

  9. In Polen verdient ein Arbeiter rund ein Zehntel dessen, was ein Arbeiter in Deutschland bekommt, in Rumänien sogar nur ein Zwanzigstel.

  10. Der am 16. April 2003 unterzeichnete Beitrittsvertrag zwischen der EU und den zehn ost- und mitteleuropäischen Ländern ist ein Dokument, das über 5.000 Seiten umfasst.

  11. Im Kleinstädtchen Löcknitz in Mecklenburg-Vorpommern weiß man schon heute, dass die europäische Zukunft nicht unbedingt in Rostock oder Schwerin liegt, sondern im zwanzig Kilometer entfernten polnischen Stettin. Warum nicht in Stettin einmal als Arzt oder Architekt arbeiten? Die Hälfte der Schüler des Gymnasiums in Löcknitz hat sich diese Frage bereits beantwortet und als zweite Fremdsprache nicht Französisch, sondern Polnisch gewählt.

 

B13 

Droht eine neue babylonische Sprachverwirrung?

Die Frage, wie viel der EU die Verständigung untereinander künftig wert ist, wird immer brennender. Schon heute arbeiten rund ein Viertel aller EU-Angestellten in Brüssel als Dolmetscher für die Entwirrung Babylons. Nach der Erweiterung kommen zu den elf Amtsprachen mindestens zehn weitere hinzu, was sich dann zu 420 Sprachkombinationen summiert, von Estnisch-Dänisch bis Tschechisch-Ungarisch. Bis jetzt sind es nur 110. Tausende neuer Mitarbeiter müssen ... eingestellt werden, unzählige Konferenzräume mit über 20 Dolmetscherkabinen müssen gebaut werden ...

Die heikle Frage, ob man wirklich alle Sprachen zu jeder Zeit und überall braucht, ist auf dem Tisch. Bei den 20.000 Brüsseler Beamten und in vielen Sitzungen der Kommission hat sich Englisch längst durchgesetzt. Nur festschreiben oder gar für alle Konferenzen verbindlich machen kann man das nicht, weil zum Beispiel die französische Regierung auf die Barrikaden ginge: Französisch muss gleichwertig gepflegt werden, verlangt Paris. Französisch als Verwaltungssprache, das sei Europa seiner kulturellen Eigenständigkeit einfach schuldig.

Also Englisch und Französisch nebeneinander. Bei der NATO funktioniert das ganz gut, bei der EU nicht. Denn so viel Diskriminierung kann die deutsche Bundesregierung nicht hinnehmen. "Deutsch ist die bei weitem meist gesprochene Sprache in der EU", sagt Kanzler Gerhard Schröder. Doch ... Deutsch als EU-Idiom wollen die Spanier nur akzeptieren, wenn Spanisch, immerhin Weltsprache, bei allen Sitzungen, Konferenzen, Presseterminen auch übersetzt wird. Sofort tritt Italien auf den Plan, bevölkerungsmäßig eineinhalbmal so groß wie Spanien. Dass im Gefolge die Niederländer, die Griechen, die Portugiesen, die Dänen und die Finnen auf eigenen Dolmetschern bestehen, versteht sich von selbst ... Von den neuen Mitgliedsländern bringen zehn ihre eigene Sprache mit ... Vorsorglich haben auch Malta und Zypern schon Ansprüche angemeldet ...

Die WOCHE, 1. Februar 2002 (Alois Berger).

 

B14 

Der lange Weg zur EU der 25

 

Dezember 1991 "Europaabkommen" (Assoziierungsabkommen) zwischen der EU, Polen und Ungarn; wirtschaftliche Zusammenarbeit, Errichtung von Zollunionen, Heranführung an die EU (weitere Assoziierungsabkommen bestehen bereits seit 1962 mit der Türkei, seit 1971 mit Malta und seit 1973 mit Zypern).
Dezember 1992 "Europaabkommen" mit Bulgarien.
Februar 1993 "Europaabkommen" mit Rumänien.
Juni 1993 Verabschiedung der "Kopenhagener (Beitritts-)Kriterien".
Oktober 1993 "Europaabkommen" mit Tschechien und der Slowakei.
April 1994 Erste EU-Beitrittsanträge osteuropäischer Länder: Ungarn und Polen.
Januar 1995 EU-Beitritt Finnlands, Österreichs und Schwedens.
Februar 1998 "Europaabkommen" mit Estland, Lettland und Litauen.
März 1998 Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit den sechs Beitrittskandidaten Estland, Polen, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern.
November 1998 Erste "regelmäßige Berichte" der EU-Kommission über die Situation in den Beitrittsländern.
Februar 1999 "Europaabkommen" mit Slowenien.
Februar 2000 Beginn der Beitrittsverhandlungen mit weiteren Staaten: Lettland, Litauen, Bulgarien, Rumänien, Slowakei, Malta und Zypern.
Dezember 2000 Gipfelkonferenz der europäischen Staats- und Regierungschefs in Nizza: Im Vertrag von Nizza wird die Neuordnung der Institutionen und der Stimmenverhältnisse im Ministerrat der EU beschlossen. Der Gipfel verabschiedet ein "Strategiepapier zur Erweiterung".
März 2001 Erklärung der Beitrittspartnerschaft der Türkei durch die Staats- und Regierungschefs der EU.
Oktober 2002 Vorlage der "Fortschrittsberichte" durch die EU-Kommission. Zehn Beitrittskandidaten werden als "beitrittsreif" beurteilt.
Dezember 2002 Europäischer Gipfel in Kopenhagen: Abschluss der Beitrittsverhandlungen. Beschluss des Europäischen Rats über die Aufnahme von zehn Beitrittskandidaten.
März bis November 2003 Volksabstimmungen in den Beitrittsländern (mit Ausnahme Zyperns).
April 2003 Feierliche Unterzeichnung der Beitrittsakte durch die Staats- und Regierungschefs der EU und der Beitrittsländer in Athen.
1. Mai 2004 Vollzug des Beitritts der zehn neuen Mitgliedstaaten.
Juni 2004 Beteiligung der Bevölkerungen der neuen Mitgliedstaaten an den Wahlen zum Europäischen Parlament.
November 2004 Amtsantritt der neuen Europäischen Kommission.

 

 


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