Zeitschrift Südliches Afrika Bilder
und Realitäten Heft 1/2003
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b Nelson Mandela über die erste Wahl seines Lebens Als ich zum Wahllokal ging, weilte mein Geist bei den Heroen, die gefallen waren, damit ich dort sein konnte, wo ich an jenem Tag war... Ich dachte an unsere großen afrikanischen Patrioten, die sich aufgeopfert hatten, damit an diesem Tag Millionen von Südafrikanern ihre Stimme abgeben konnten... Ich ging... nicht allein in das Wahllokal; ich gab meine Stimme gemeinsam mit ihnen allen ab... Ich machte mein X in das Kästchen bei den Buchstaben ANC und ließ dann meinen gefalteten Wahlzettel in eine simple Holzkiste fallen; ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben gewählt. Die Bilder der Südafrikaner, die an jenem Tag zur Wahlurne gingen, sind in mein Gedächtnis eingebrannt. Lange Schlangen von geduldigen Menschen, ...alte Frauen, die ein halbes Jahrhundert gewartet hatten, ehe sie zum ersten Mal ihre Stimmen abgeben konnten, und die erklärten, zum ersten Mal in ihrem Leben fühlten sie sich als Menschen, weiße Männer und Frauen, die erklärten, sie seien stolz, doch noch in einem freien Land zu leben. Die Stimmung der Nation während jener Wahltage war erhebend. Gewalttätigkeiten und Bombenanschläge waren eingestellt, und es war, als ob die Nation neugeboren wäre... Wir erzielten 62,6 Prozent* der Stimmen... Einige ANC-Anhänger waren enttäuscht darüber, dass wir die Zweidrittelmehrheit nicht erreicht hatten, doch ich gehörte nicht zu den Enttäuschten. Vielmehr war ich erleichtert, denn wenn wir zwei Drittel der Stimmen auf uns vereinigt hätten und in der Lage gewesen wären, ohne Mitwirkung anderer eine Verfassung durchzusetzen, hätten die Leute argumentiert, wir hätten eine ANC-Verfassung geschaffen und nicht eine südafrikanische. Ich wollte eine echte Regierung der nationalen Einheit. Nelson Mandela: Der lange Weg zur Freiheit, Frankfurt a. M. (S. Fischer) 1994, S.825-27 * National Party 20,4; Inkatha 10,5%
Von Erzbischof Desmond Tutu, Friedensnobelpreisträger 1984, Vorsitzender der Wahrheitskommission 1996 Versöhnung bezieht sich auf die Anerkennung von geschehenem Unrecht. Wenn der Verursacher dieses Unrecht anerkennt und bereut, ist es seine Aufgabe zu sagen, dass es ihm leid tut. Ernsthaft von Versöhnung zu reden heißt, Wiedergutmachung zu leisten. Man kann nicht von einer Person, der man etwas weggenommen hat, wünschen, dass sie sich mit einem wieder versöhnt, aber das Gestohlene behalten. Aber auch das Opfer des Unrechts muss zur Vergebung bereit sein und keine Vergeltung suchen... Es darf nicht geschehen, dass wir vortäuschen, die Wunden der Apartheid gäbe es nicht! Die Wunden sind offen. Zit. nach Andrea Kaiser-Thomas, O. H. Müller: Das neue Südafrika, Bonn (Dietz) 1993, S. 165
Am 29.10.1998 übergibt die Kommission für Wahrheitsfindung und Versöhnung TRC... Präsident Nelson Mandela ihren 3 500 Seiten umfassenden Abschlussbericht... In öffentlichen Anhörungen wurden seit April 1996 die Aussagen von 21 000 Personen erfasst und mehr als 2 500 Opfer und zahlreiche Täter vernommen... Die TRC bewertet die Apartheid an sich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und den Kampf der Befreiungsorganisationen als grundsätzlich legitim, wirft jedoch beiden Seiten grobe Menschenrechtsverletzungen vor. Die meisten Gräueltaten - wie Folter, Mord, ungerechtfertigter Einsatz von Gewalt und Justiz - lastet der Bericht den Vertretern der Apartheidsregierung an... Der Bericht... stellt die persönliche Verantwortung des früheren Ministerpräsidenten (1978-84) und Staatspräsidenten (1984-89) Pieter Willem Botha für schwere Menschenrechtsverletzungen fest und empfiehlt deren juristische Verfolgung... Der Afrikanische Nationalkongress (ANC), vor allem seine militärischen Strukturen, hätten Folterungen... in seinen Lagern in Angola und Tansania begangen und zu der bürgerkriegsähnlichen Situation in den Townships von Johannesburg zwischen 1990 und 1994 beigetragen... Auch die geschiedene Frau des Präsidenten, Winnie Madikizela-Mandela, wird für schwere Vergehen, darunter mehrere Morde, persönlich verantwortlich gemacht... Angehörige des ehemaligen Apartheidsregimes werfen der TRC Einseitigkeit vor, da die Übergriffe der Guerilla des ANC nicht genügend beachtet würden. Von der schwarzen Bevölkerung wird die Gewährung von Amnestie kritisiert... Der ANC bezeichnet den Bericht als "aus der Luft gegriffene Behauptungen und eklatante Unrichtigkeiten". Die Nationale Partei (NP) lehnt den Bericht als "Hexenjagd auf die weiße Minderheit" ab... Frederik de Klerk, dem die Mitwisserschaft bei einem Bombenanschlag... vorgeworfen wird, kündigt eine Klage wegen Rufmordes an. Der TRC-Vorsitzende Desmond Tutu ließ auf Anraten seiner Anwälte die de Klerk betreffenden Passagen aus dem Bericht entfernen. Fischer Weltalmanach 2000, Frankfurt a. M. (Fischer Tb) 1999, Sp. 757f
Der Amnestieausschuss setzte in der Folgezeit seine Arbeit fort. Wer geständig war und nachwies, dass er im Auftrag einer politischen Partei handelte, erhielt Begnadigung. Pauschale Amnestieanträge wie der von 27 ANC-Führern, darunter Thabo Mbeki, wurden abgelehnt, da "das Amnestiegesetz keine Strafbefreiung von Gruppen vorsehe". Im März 2002 stellte die Wahrheits- und Versöhnungskommission ihre Arbeit ein. Die Frage einer Entschädigung ist bis jetzt ungelöst. Ein Jahr verbrachte Thandi Shezi in einer Isolationszelle... Im Jahr 1988 war es gewesen, als die Sicherheitskräfte... ihr Haus durchsuchten. Sie waren auf der Suche nach Waffen und ihrem Lebenspartner, der Mitglied im militärischen Flügel des ANC war. Sie fanden weder ihren Freund noch Waffen, deshalb nahmen sie sie mit... Sie schlugen sie,... vergewaltigten sie. Die Narben, die ihr am ganzen Körper geblieben sind, stammen von den Elektroschocks... Thandi Shezi kann heute darüber sprechen wie jemand, der mit einem Kapitel abgeschlossen hat... Das "südafrikanische Wunder" bestand darin, dass nach all den Grausamkeiten und der Unterdrückung während der Apartheid nach ihrem Ende kein Bürgerkrieg ausbrach. Dass sich die Schwarzen nicht an ihren Peinigern rächten. Die... Wahrheits- und Versöhnungskommission hatte daran einen wichtigen Anteil... In Südafrika ist der Prozess der Vergangenheitsbewältigung noch lange nicht abgeschlossen. Aber es scheint, dass die Phase der behutsamen Aufarbeitung zu Ende geht. Die Ungeduld wächst. Seit vier Jahren liegt der vorläufige Bericht der Wahrheitskommission vor, der auch Vorschläge über Entschädigungszahlungen macht, aber passiert ist noch nichts... Der amerikanische Anwalt Ed Fagan... spielt eine zentrale Rolle in den Sammelklagen, die südafrikanische Apartheid-Opfer... anstrengen wollen. In großen Anzeigen warb er um Mandanten... Die Deutsche Bank, die Dresdner Bank und die Commerzbank hätten das Regime entgegen den verhängten Sanktionen mit 4,5 Milliarden Dollar unterstützt. Computerunternehmen wie IBM hätten vom System der Zwangsarbeit profitiert. Marion Aberle: Jedes Opfer hat das Recht auf einen Scheck, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 9.7.2002
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